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Ein Gesang der Fragen
ein
lyrisches Tagebuch
1990 – 1999
mit Zeichnungen von Harry Morath -
Ein Gesang der Fragen
ein lyrisches Tagebuch 1990 – 1999
mit Zeichnungen von
Harry Morath
Gewidmet in Memoriam unserer Tochter Katja -
Impressum
1. Auflage: 2008
Copyright © 2008 by Doris Kramp
Satz: Harry Morath + Tom Wirth
Druck: Druckerei Schürch AG, CH-4950 Huttwil
Printed in Switzerland
ISBN 978-3-9523343-6-2
InhaltIm Land der Störche 7 Auf den Wassern zu singen 33 Ein Gesang der Fragen 63 Die grosse Gondel Venedig 127 Falsche Paradiese 159 -
VorwortFür das Publikum und den grossen Kreis seiner Freunde war Stefan Kramp ein Sänger von starker musikalischer Ausdruckskraft und hoher künstlerischer Sensibilität. Wer ihn bei einem Liederabend erlebte, war stets nicht nur von seinem Gesang, sondern auch von seiner einfühlsamen Gestaltung der Liedertexte angerührt.
Im privaten Kreis bestach er durch seinen Esprit, seine Liebenswürdigkeit und seinen Humor. Aber in den lyrischen tagebuchähnlichen Aufzeichnungen, die wir nach seinem plötzlichen Tod 1999 im Nachlass fanden, lernten wir eine andere Seite von ihm kennen – eine Seite voller Widersprüche, (Selbst)zweifel und Ängste.
Angeregt durch eine Reise nach Masuren in die Heimat seiner Mutter im Jahre 1990, hatte er begonnen, Eindrücke und Empfindungen in Form lyrischer Impressionen fest zu halten.
Die Möglichkeit sein Leben zu reflektieren, indem er Freude und Schmerz seiner künstlerischen Existenz in Sprache fasste, behielt er die letzten 10 Jahre seines Lebens bei. Wir glauben, seine Gedichte in ihrer reichen Metaphorik zeigen, dass Stefan Kramp in viel umfassenderem Sinn Künstler war, als man ihn kannte.
Doris Kramp-Dietz -
Im Land der StörcheJuli 1990
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PogorschellenDie Fahrt nach Pogorschellen eine einzige Nostalgie aus Korn, Seen, Wälder, Füchsen, Störchen und Wolkenformationen, wie ich sie nur aus Dänemark kenne. Ein Land ohne Menschen oder besser gesagt ein Land mit Menschen, die sich keine Heimat machen. Die Armut tötet ein wenig die Poesie und den Wunsch nach Schönheit.
Das Grab des Großvaters ist in einem kleinen Wäldchen beinahe zugewachsen. Wir haben gejätet, Blumen hingelegt und drei Kerzen angezündet. Nach einer stillen Minute stand ich dort in Masuren mit Tränen in den Augen. -
PogorschellenEs gibt den Weg zurück,
wo Träume unserer Kindheit leuchten
durch Strassen,
die gesäumt mit Bäumen
von Liedern raunen,
die wir nie gesungen.
Es gibt den Weg zurück,
wo Gräber unserer Väter warten,
durch Wälder,
die in stiller Trauer
den Stein umschatten,
den wir nicht gesetzt.
Es führt kein Weg zurück
zur Wurzel unserer Seele.
Die Götter schlafen unter Teichen
und lächeln auf dem Pfad
gesäumt mit Eichen,
der sacht uns
zurück nach Hause führt. -
Im Land der StörcheIm Land der Störche
fahren wir die langen Straßen,
vorbei an grauen Häusern,
die den Liebreiz ihrer nahen Ufer
nun schon seit vielen Jahren
Lügen strafen.
Im Land der Störche
fahren wir die langen Straßen,
vorbei an schwerem Weizen,
der die reife Ähre genüsslich modernd
auf den Boden breitet.
Im Land der Störche
fahren wir die langen Straßen,
vorbei an schwankenden Gestalten,
die lallend durch den fremden Staub
auf ihren Scheiteln
die eigenen Schädel spalten. -
SkajbotyEin unglaubliches Haus in einer Landschaft voller Stille und Schönheit, wie ich es noch nie gesehen habe. Aber auch hier soll die Television das Leben ersetzen. Es gibt Enten, Störche, Seerosen und von Zeit zu Zeit bellt ein Hund.
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Meine polnischen BrüderIm Schein der Lampe
sind sie plötzlich alle da,
die schwankenden Gestalten,
die ich sah.
Der Mann mit Hut
und abgefressnem Haar.
Die Frau mit fettem Bauch
und großen Brüsten,
die staunend an der Straße war,
bereit uns noch zu grüßen.
Ja, selbst der Hund
legt mir den toten Hasen hin,
und alle fragen mich
warum ich glaube,
dass ich besser bin. -
Caja, der Wolfshund, hat einen Hasen erlegt und ihm den Kopf abgebissen. Ich fand ihn schwanzwedelnd mit einem Ohr des Hasen im Maul. Ich liebe diesen Hund, und plötzlich war er mir ganz fremd. Der Hasenleib war noch ganz warm. Michael und Goscha haben ihn hinter dem Stall begraben. Morgen fahren wir nach Danzig (Gdansk), und ich freue mich schon aufs Meer. Auf der Rückfahrt fahren wir am frischen Haff vorbei. Wir leben hier mit warmen Wolken.
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Tod eines HasenDas Haus im Sommergrün
– gedankenlos
schaukelt es über den See,
hört nicht den Schrei
des Hasen,
der vom Wolfshund getötet,
mit blutigem Rumpf
unseren Schlaf verdunkelt.
Am Hang die Birke
versteckt meinen verstörten Blick
geschwind
in ihrer silbrig blinkenden
Abendtasche.
Lasset uns beten! -
Ein Tag in Skajboty mit gelungenem Spaziergang zu einem nahe gelegenen See. Würdige Fischreiher und Knollenblätterpilze. Trockenwiesen von einer ungeahnten, farbigen Fülle.
Am Nachmittag Besuch von Eva, einer jüdischen Freundin, die sehr gut deutsch spricht. Wir haben im Sonnenschein viel gesungen und gelacht. Die Kinder genießen den Ort hier am meisten. Wie mag es hier zu Weihnachten sein?
Morgen besuchen wir das Schloss in Olstyn. Mir platzt fast der Bauch vom vielen fetten Essen. Wir werden uns noch ein wenig ausruhen bevor es dann Freitag Richtung Berlin geht. Das Wetter ist von erquickender Frische, dennoch beginnt die Sucht nach Veränderung an mir zu nagen. -
Abschied von SkajbotyDer Sommer ist heute Abend in den See versunken,
und die Libelle hält den Atem an.
Hinten im Schilf sind schon verstummt die Unken,
der Hund ist fort, ich steige schwer bergan.
Das Land hat seinen Namen abgegeben,
geblieben sind nur Wasser, Haus und Baum,
die Worte sind ein Netz von Spinngeweben
ganz ohne Sinn und Kraft und Raum.
Ich wollte nach der großen Grenze schauen,
gefunden hab ich wilde Unschuld hier,
doch bleibt ein Rest von Trauer und von Grauen
in diesem Rest von Rätsel über mir -
Eine sonnige Fahrt nach Gdansk. Eindrucksvoll die renovierte Altstadt. Aber doch irgendwie ein potemkinsches Dorf. Ein schrecklicher Touristenmarkt. Außerhalb der Altstadt die gleiche Armut wie überall. Schön die Fahrt zum Haff und nach Frombork zum Kloster und der Kirche von N. Kopernikus. Die Backsteingotik der Kirchen ist von einer unerwarteten Eleganz. Der Tag hat uns müde gemacht. Der Hecht war uns zur Forelle verkommen. Schöne Gespräche auf der Mückenterrasse.
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Gdansk-GedankenDas Alte ist nicht alt,
das Neue nicht neu;
das Silber versilbert.
Nur der Schlaue
ist dort wirklich schlau,
und das Blau
ist unglaublich blau.
Doch die marmorne Sommerwolke
verspricht mir
den Himmel auf Erden –
mit salziger Zunge
murmle ich
Schwüre
ins Wasser des Haffs. -
Vom Grund des SeesAll meine Träume
schlafen tief im See.
Bedeckt mit Schilf und Moos.
Auch Dein Gesicht
verrät nicht, ob es lacht.
Ein kleiner, brauner Frosch
sprang in den Traum
und hat den Spiegel in den Wellen
trüb gemacht.
Die Regenmuhme
steht vor meinem Fenster
und flüstert heimlich
von Dir und Mir
und von Gespenstern.
Vielleicht hat es dort unten
schon geschneit.
Skajboty, 25.07.1990 -
Auf den Wassern zu singen
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Schiff-Fahrt auf den Kanälen im Burgund6.10.1990
Bis zur letzten Minute waren meine Vorstellungen blass und ohne Vitalität. Bis ich das Taschenmesser und die Taschenlampe gekauft habe. Plötzlich war die Reise Realität. Lange Wege über die Autobahn. Immer wieder dieser unangenehme Stau in mir wegen der hohen Geschwindigkeit, aber das «Hôpital des Dieux» in Beaune entschädigt für vieles. Ein ausgezeichnetes, schmackhaftes Essen im Sonnenschein, ein fruchtiger Chardonnay macht die Welt leicht und heiter. Dann die Ankunft in Auxerre. Das Schiff ist riesig. Beängstigend. Ich rüste mich mit Mut und denke, es wird schön.
Die Silhouette von Auxerre über dem öligen Kanal mit ihren drei Kathedralen hat etwas Märchenhaftes. Unser gemeinsamer Nachtspaziergang hat diesen Eindruck noch verstärkt. Was wird uns Bodenständigen das Wasser bringen. -
Mein Notre Dame – Klagelied zu BeauneDein mildes Grau
in Kuppeln eingebunden
macht mir das Schauen schwer.
Dein Erzengel
trägt sein geschundenes Gesicht
mit Würde.
Es flackert sein Schwert.
Dennoch –
die Schlange unter seinem Fuß
hebt langsam, böse
den Kopf.
Sie züngelt nach den
bunten Farben deiner Fenster.
Zuckerwatte,
ein Hauch Historie,
in Kandis eingelegt.
Du übler Tummelplatz
von Kanten, Säulen
und Gewölben.
zu schmutzig für die Heiden,
zu unreif für
den Frommen.
Ich sehne mich ins Freie,
träume von Wassern,
die Fänger neuer Himmel sind
und Spiegel
neuer Kathedralen. -
Sonntag, 07.10.1990
Die Nacht auf dem Schiff noch ungewohnt und eng, aber friedlich. Nach dem gemeinsamen Frühstück Fahrt über Tounere nach Fontenay. Ein elegantes Kloster in einem einsamen Tal. Eine dichte Atmosphäre und eine wunderbare romanische Kirche. Die Schmiede hat die Dimension einer Kirche. Das Erlebnis der Fahrt vom Hintersitz aus war eher bescheiden. Nächste Station: Flaviguy. Ein kompaktes Städtchen wie eh und je, gut renoviert, aber nicht sehr lebendig. Im Haus von Beatrice war eine Malgruppe. Am eindruckvollsten die Sport treibenden Novizen des Herrn Lefever aus dem Kloster gegenüber.
Die Fahrt nach Vezely wegen einer Umleitung noch schöner als erwartet. Je älter ich werde, je lichter erscheint mir die Kirche. Die Kapitelle sind größtenteils erneuert. Der Chor strahlt in hellstem Sandstein. Ein großer Eindruck. Doris findet: ein griechischer Tempel. Auf der Fahrt zurück überall weiße Kühe. Eine Zierde des Burgunds. Am späten Nachmittag bin ich mit dem Boot ein wenig gefahren. Es ging nicht schlecht. Morgen geht es los. -
Das spürbar FrüheDas spürbar Frühe ist es,
das uns freut,
der Wein, der Käse auch.
Das feurige rote Laub
an Klostermauern
schlagen wir
vergangenen Zeiten zu.
Das Licht, das über unsere
Schultern fällt
und golden durch den Herbstwald
weiterwandert,
hat seine Quelle
im Reliquienschrein
des nahen Klosters.
Selbst die starken, weißen Kühe
liegen auf den Weiden
des Burgund
wie ausgefallene Zähne
eines Bischofs oder Grafen,
der schon seit Hunderten
von Jahren
die Lust am Heute
uns versagt.
Trotzdem liebkose ich
den Stein,
der witternd, heimlich
mich um Hilfe ruft. -
Montag, 08.10.1990
Heute der erste Tag auf dem Kanal. Alles ist erregend. Die Sonne scheint. Die Farben verdoppeln ihre Qualität. Ich sitze und steure ein Motorboot, fahre in Schleusen ein, hantiere mit Seilen, trage Verantwortung für ein Schiff und gleite dahin wie auf Wolken über spiegelgleiche Fläche. Teile Weinberge und Kornfelder, bewältige Städtchen, Angler und Schleusenwärter. Ein unglaubliches Gefühl.
Auf der Höhe von Bailly stoppen wir die Boote und gehen mit unseren miserablen Velos nach St. Bris. Ein verwunschener Weinort mit mittelalterlichen Weinkellern und hervorragendem Chardonnay. Das Keuchen des Hinweges ist uns rückwärts zur kindischen Freude geworden. -
Der kleine Gott im GebüschHeute rasten wir im Tunnel der Natur.
Es kreist das Grün im Grünen.
Hochmütig reckt der Felsen sein Gesicht,
wir warten
und umhüllen uns mit Stein.
Nah sitzen wir beisammen,
lauschen unserem eigenen Schlaf.
Die Gläser klingen heller
als wir dachten,
sie melden uns das Ende dieses Tages.
Ein kleiner Gott sitzt im Gebüsche
Und schnitzt im Dunkeln eine Kette,
die uns eint.
Der Rabe im Geäst zwischen den
Schiffen
weißt uns ihr Ende,
doch fliegt er ungefragt davon
und greint.
Wir schlafen mutig weiter
bis der kleine Tod
den Morgen zaubert
aus dem schwarzen Hut,
mit etwas nassem Salz und Honigbrot. -
Dienstag, 09.10.1990
Der zweite Tag auf dem Wasser. Die Kälte der Nacht heißt es abzuschütteln. Aber die Sonne glänzt und alles trocknet. Ein Wetter, das uns trunken macht. Am Morgen der Kir auf dem Schiff (Cassisse u. Aligothe) ein Genuss. Die Schleusen sind teilweise beängstigend, aber die Sonne brennt die Ängste weg. Zwangsmittagessen, da die Schleusen geschlossen sind. Ein unbeschreiblicher Friede überall. Am Nachmittag erster Halt beim Chateau de Mailly. Ein kleines Schlösschen mit Dorf auf einem Hochplateau mit herrlichem Rundblick. Die Kirchen sind alle etwas zu imposant für die kleinen Dörfer. Ein wenig später Kletterwanderung auf nahen Felsen. Angst und Gelächter begleiten uns wieder hinunter ins Tal. Späte Fahrt durch Schleusen. Die Suche nach einem Liege-Platz für die Nacht findet bei völliger Dunkelheit statt. Gespräche mit Wohlbefinden. -
Auf den Wassern zu singenDie eigene Kraft wird aufgehoben.
Ein Grollen schiebt uns vor sich her.
Lautlos das Wasser und gelegentlich
ein weiches Klagen umwickelt meinen Nacken,
befreundet sich mit meinem Ohr.
Der Reiher hievt sich mir vorbei
ganz ohne Eile.
Verstört flattert ein Fasan.
Die kleinen Schlösschen, die ich grüße
verweigern mir den Handschlag,
bleiben stumm.
Aber die Hügel voller Reben
verschütten ihre Murmeln
über mich mit Fröhlichkeit.
So glänzt mein Auge rot und braun
und grün und gold.
Das Lachen drängt sich tief
in mein Gesicht.
Ich hatte Glück heut,
nur, damit ihr 's wisst. -
Mittwoch, 10.10.1990
Heute haben wir den zeitlichen Zenith überschritten. Der Heimweg begann mit einem Fast-Unfall in einer Schleuse flussabwärts. Später hatte ich mich auf eine Anlegestelle in einem kleinen Dorf mit Kloster gefreut, aber das Abgesprochene galt plötzlich nicht mehr. So liegen wir nun an einer Distelböschung und spüren nichts von den Menschen dieser Region. Die Gemeinschaft fordert manchmal Tribute. Die Abendhimmel sind von starkem Rosa, und es bleibt auch über Nacht noch warm. Wenn das Licht geht, kommen die Ängste wieder. Der Weg nach innen beginnt spätesten in der Dämmerung. -
Das gute BlauSeit Tagen lächelt uns der Himmel blau,
ein wenig angekratzt von Zirruswolken.
Eisvogel flirrt wie ein türkisner Stein,
ein Feiertag inmitten alter Zeiten.
Seit Tagen lächelt uns der Himmel blau
umarmt uns mit dem Fass voll Wärme.
Der blauglasierte Teller,
den ich bei der Schenke fand,
bewahrt dies gute Blau in seinem Kern.
Seit Tagen lächelt uns der Himmel blau,
und dennoch schwindet mit dem Licht der Mut.
Der Eisvogel wird kalt,
der Teller springt genau
an jener Stelle, wo es weh uns tut. -
Donnerstag, 11.10.1990
Der Tag beginnt ohne Frühstück. Wir liegen so idiotisch, dass man weit und breit keine Bäckerei findet. Schließlich fahren wir bis Chatel Censoir, frühstücken und besichtigen den wirklich hübschen Ort. Um die Kirche herum wunderbare alte Herrenhäuser, mit weiten Ausblicken über das Tal der Yonne.
Der Tag entwickelt sich zu einem wirklichen Reisetag. Wir «machen Kilometer» und kommen uns vor wie Arbeitstiere. Viele der Schleusen sind von ihren Wärtern verlassen, und so muss man alles selber machen. Einmal war unser Boot auf Sand gelaufen. Große Aufregung, aber am Schluss ging alles gut. Wider besseres Wissen fahren wir doch bis in die Dunkelheit und finden das gesuchte Restaurant geschlossen vor. Der Ersatz in Vincello war wirklich nur ein Ersatz. Morgen ist der letzte Tag. Wir sind alle müde. -
Über die Beständigkeit der DingeDie Nebel wallen alle Morgen gleich,
die Sonne frisst sie immer wieder auf.
Der Wein an meinem Platz golden,
fröhlich Gelächter klingt zuhauf.
Wir singen ewig unsre alten Lieder,
recht freundlich lächeln wir uns an,
das Mittagsmahl gibt's immer wieder,
und treue Freunde sind wir allzumal.
Wir haben unsern Gott beschworen
und hängen in den Speichen seiner Zeit
Wir haben das Gerechte in den Ohren
und bitten, dass es einfach weiter bleibt.
Die Abendstille und der Apfelbaum,
die Treue und der Kinder Kuss.
Immer nur träumen wir den gleichen Traum
von diesem alten schönen Fluss. -
Freitag, 12.10.1990
Wir sind heil wieder angekommen in der imposanten Stadt Auxerre. Ein Hochsommertag mitten im Oktober. Der Besuch der beiden Kirchen war ein schöner Abschluss dieser Reise. Abendessen im Quai de Yonne. Die Rognon von Doris und Ernst waren wohl das Beste. Auch die verschiedenen Weißweine (Aligothe, Chablis, Sauvignon) werden im Gaumen haften bleiben. Ein langes Gespräch über Gelungenes und Missratenes der Reise. Ich freue mich auf Morgen und den Besuch von Dijon, an das ich mich gar nicht mehr erinnern kann. -
Das HerbstzeitloseDie Zeit hat ihren Puls vergessen.
Sie sucht die Glocke tief im Uferschlamm
und breitet ihre Decke
wie zum Morgenessen über den Bug
des Schiffs und kichert bang.
Der Motor zählt Sekunden in die Breite,
er sticht die Zeit wie Tätowierung
mir ins Bein.
Der Atemfluss berührt sich in der Weite,
den nahen Mittag
zeigt mir mein Glas Wein.
Die kleine braune Ente schwimmt im Kreise,
die runde Welle streichelt uns den Kiel.
Der Friede legt sich keck auf unsre Reise
verneigt sich vor der Stille
ohne Ziel.
Die Zeit hat ihren Puls vergessen,
nur meiner schlägt,
von Worten zugedeckt
ganz laut,
will mein Gefühl zerfressen,
das ein paar Stunden diesem
Frieden traut. -
Ein Gesang der FragenGedichte von 1990–1995
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Auf der Party des Riesen01.10.1990Glasfäden durchziehen den Raum,
in der Kälte blitzen sie grau.
Kleine Funken darauf
wie Elmsfeuer im Schauer.
Ein Faden berührt meine Schläfe,
zieht mich hinauf
ins leuchtende Netz.
Andere Gäste beklatschen mein Kommen.
Es ist warm da oben.
Die meisten lächeln
oder schnurren wie zufriedene Katzen
im weichen Stuhl.
Alle fassen sich strahlend bei den Händen
bis das Netz schwer über uns fällt.
Ein Riese packt das Geknüpfte –
prall gefüllt mit zappelnder Heiterkeit –
zerschmettert alles
an der nahe gelegenen Felswand. –
Gestern Nacht träumte ich noch
von einem Tropfen Blut
auf der Innenseite meiner Hand. -
November26.11.1990Vorbei ist nun die Zeit der Lieder,
die Luft ist grau und ohne Lust.
Traumsegel sind gerafft
und modern wieder.
Es riecht der Herbst nach Krieg
in einer Welt, die gafft. -
Im Zirkus01.06.1991Wenn Pic aus seiner blauen Kugel steigt,
im weiten Sternenmantel,
Seifenblasen in die zarte Nacht zerstreut,
dann scheint die frühe Märchensonne
mir in die Kammern der gelebten Jahre.
Und einer Arche gleich bringt man die Tiere,
die nur scheinbar böse
für ein Stückchen Fleisch
mit Tatzen schlagen
oder auf den Hinterbeinen stehn.
Stahlgitter helfen ihre Welt bewahren,
in der der Starke stark,
das Schöne schön,
und wo Gehorsam oberstes Gebot.
– Ein junger Neger sucht im Sägemehl
nach Kot. –
Und all die ernstgemeinte Fröhlichkeit
bewegt mich in der Tiefe meiner Seele,
führt meinen Blick ins Schattenspiel
der Kuppelhöhle.
Unendlich oben sitzt du im Trapez –
leicht schaukelnd und mit glitzerndem Gewande
voll Kraft – und ohne Angst.
Jonglierst mit bunten Kugeln
und ich – ich wage kaum zu atmen
wenn du fällst. -
Im Strom17.06.1991Der weiche Strom dort
zwischen Farn und Weiden
verbirgt in sich schon Sommer –
träumend von Libellen,
die an seinen Ufern
ihr zitterndes Türkis vergeben.
Und ich – wie ein Stück bleiches Holz –
vertraue mich dem Strom,
der leise schlingernd
seine dunklen Farben aus der Tiefe ruft.
Und langsam
sinkt der grün gewordne Leib
hinab zu Stein und Algen.
Unmöglich auf dem Grunde
Tränen zu vergießen.
So lieg ich denn
und wart mit klaren Augen
auf Trost im Herzen,
derweil mir eine alte, braune Kröte
die graugewaschnen Wunden leckt. -
Italian Lover01.07.1991Italie –
mon amour –
deine warmen Steine
lagern auf meinem grauen Scheitel,
deine blühende Bougainville
hängt mir wie Trauerweiden
über die Schulter,
selbst mein schwerer Atem
verliert sich nicht
in der Stille deiner Innenhöfe.
Die Trauer des Nordens
schluckt dein weiches Licht
wie ein einsamer
alter Wal,
Plankton
im Eismeer.
Mir ist kalt –
Italie –
mon amour. -
Ankunft am See30.07.1991Verschlungen der Weg
durch grünes Feld bis ans Wasser.
Das Haus schlank zwischen andern
verbirgt noch seine stillen Winkel,
hält seine alte, hölzerne Hand schützend über den See.
Gelehnt an weiße Riegelmauern
räkelt sich Einsamkeit
im Schatten der jungen Kirschen.
Träume – versunken in der Hitze des Tages
lauern auf ihre nächtlichen Bataillen,
voll Graun noch
über ihr – vom Morgengrauen
zerfressenes – Ende.
Ungesehen das Strahlen meiner Augen,
freundlich begraben
in Nachbars Geranien.
Der Leib steinig, erdig und voll Wasser
gräbt sich ins kühle Leinen.
Von weit her höre ich die Straße.
Auf der Spielschachtel
mir gegenüber
im Regal
steht:
Erkenne Dich selbst -
Über das Warten04.11.1991Ein winziger Schmerz
vertreibt die Zeit,
erstickt in meinem Schmunzeln.
Mein Herz klopft viel zu stark
in den heißen Gerüchen
des Sommers,
wertlos als Metrum
träumt es von der Zeit,
als noch die Mohnblume
aus meinem Tisch wuchs.
Ich warte in Eile.
Mein Klavier
hört auf zu spielen.
War es das schon?
Es müsste schön sein
zu weinen. -
Die Dinge hinter den Dingen19.04.1992Manchmal spüre ich das Leben
hinter dem Leben.
Vielleicht bellt nur ein Hund,
oder der Duft
von frisch geschnittenem Gras
steigt mir in die Nase.
Ich fühle die Sonne
über meine geschlossenen Augen
wandern
und sehe grüne, toskanische Felder,
von denen mir jemand
erzählt hat.
Meine brachliegenden Beine entlang
klettert Wärme übers Knie
in meinen Schoß.
Gerüche und Bilder
bedecken mich ganz.
Klänge aus den Kronen der Pappel
sind mir Bett und Brot.
Manchmal geh ich ins Haus
hinter dem Haus
und weiter ins Zimmer
hinter dem Zimmer.
Dort stehst du –
ein Kind auf dem Stuhl
am Fenster –
ein Sträußchen in der Hand.
Ich stehe wartend hinter dir
und sehe nicht
die dicken Tränen tropfen. -
Die Farbe der Liebe31.08.1992Der Regen hat mir alle Farben
abgewaschen.
Die fröhlichen Farben vom Vorjahr,
Rinnsale über Zeh und Ferse.
Selbst die Farbe der Liebe
rinnt mühsam aus dem Mundwinkel
übers Kinn
und krustet an der Kehle.
Ein Vogel piepst im Strauch
vor dem Fenster.
Er ist nass und dick.
Im Spiegel erkenne ich
unter meinem weißen Gesicht
ein rotes Mal
auf meiner Brust. -
Falsche Paradiese09.11.1992Mit Worten
baue ich Räume
für meine Seele,
die keinen Platz hat
in den achtlosen
Regionen
von Sensen
und Gewalt.
Mit geschlossenen Augen
lasse ich
meinen gedunsenen Leib
verschwinden
und träume
ein Weilchen
von Schönheit und Güte
und Gott. -
An einem grauen Tag16.11.1992An einem grauen Tag
fällt mir
ihr graues Kleid ein.
Im Spiegel
seh ich unter dem grauen Haar
farblose Augen,
umgeben
von grauer Haut.
Ein gewisser Ekel
regt sich vornehm
zwischen den
Schulterblättern.
Was denkst Du –
kann ich wohl jetzt schon
Mitleid eintreiben? -
Die guten Gesellen09.12.1992Die Geier
segeln über den
stattlichen
Rest meines Lebens.
Auf dem Rücken liegend
sehe ich
wie schön sie sind.
Die Spur ihres Fluges
zeichnet Netze
über mich.
Früher konnte ich
den Himmel essen.
Aus den Wolken
habe ich getrunken,
wo jetzt die großen Vögel
geduldig auf ihr
Opfer warten. -
Die Suche nach der vierten Dimension5.01.1993Mit der Dämmerung
Hand in Hand
wächst mein Gesicht
aus dunkler Scheibe
in zartem Gelb,
mit weichen, braunen Schatten.
Die übliche Kontur,
aus Licht und Dunkelheiten
so schreite ich durch Räume,
umarme Säulen,
ertaste Brunnen, Gläser,
frische Kastanien
in ihrem Stachelbett.
Und während meine Hand
noch deine Stirne
begreift,
sangen süße
Bilder meines Lebens,
Streifen von Zeit
mir aus Rücken und Haar,
bis der Mond kommt
oder die Sonne,
bis Laub oder Schnee
das Grüne decken
und die Gezeiten
Ruhe prophezeien. -
Ein symbiotischer Narr11.01.1993Es gab Tage,
da habe ich meinen Hund
gestreichelt.
Und Nächte,
in denen ich nicht
allein war.
Es gab Stunden,
da habe ich mit Freunden
im Kreis gesessen,
umgeben von Blicken,
die mich in ein Fass
von Wärme tauchten.
Die neue Zeit
verweist mich
voll Klugheit
ins Eis. -
Der Flug der SchildkrötenMärz 1993Ganz weit oben
ziehen wir unsere Kreise
über der Stadt.
Das Quartier unter uns
zeigt sein ungemachtes
Bett.
Du wendest meinen Blick
dem Horizont zu,
der milden Linie
aus blauem Licht.
Unsere Panzer
drücken langsam
zu Boden,
und das Wort
auf den ungelenken Zungen
bleibt ungesagt. -
Die Zeit der Bussarde20.03.1993Es war ein Tag,
an dem das Licht
auf den Feldern ausstirbt
und der Winterschlamm
an den Fersen haftet.
Es war ein Tag
wo Bussarde tief
im Nebel fliegen
und frierend auf
den Zäunen hocken.
Es war ein Tag
da die Stille des Klosters
barst
unter dem Schrei
des Irren,
und Grauen
durch die Tore gleitet.
Aber die Kälte schmilzt
hinter den Wolken.
Die Vögel taumeln auf
in der Helle des Winters,
und der Zitronenfalter
vom Vorjahr
flattert freundlich
in Deinem Auge. -
Ein Gesang der Fragen30.03.1993Ist das Aufgehen
einer Blüte
die Antwort auf die
Frage
nach dem Sein?
Ist das Wachsen
einer Tanne
Metaphysik?
Ist das Atmen der Frau
an meiner Seite
Natur?
Und der Schmerz
in meiner Brust –
bedeutet er Leben
oder Sterben?
Und was ist Liebe?
Die tiefe Sehnsucht,
sich im Anderen
zu begreifen?
Ich warte
immer
weiter. -
Reiselied16.04.1993Eine Handbreit nur
über der dunklen Erde schwebend
– geriet ich –
begleitet von grünen Hügeln
immer tiefer
hinein
in die Träume
schwarz gehämmerter Zypressen,
die gelassen
wie Speere,
von Frauenhand gepflanzt,
dort oben
aus dem Horizont wachsen.
In einem Land bin ich,
das staunend
seine Wolken trägt,
geduldig wie die Braut,
die auf den Tag
der Sommerhochzeit
wartet. -
Späte Begegnung02.05.1993Ach, Einsamkeit, du Schöne,
du klopfst an meine Tür. Spät bist du
und so ganz anders, als ich dich
in meinen frühen Ängsten
vor mir sah.
Größer und viel älter,
als du's mir gesagt,
und auch dein Haar
nicht mehr so schwarz
wie damals.
Um deine Augen
liegen diese kleinen Falten,
die vom Lachen
aus den jungen Zeiten stammen.
Ich fürchte deinen Blick,
der Ruhe
in mein Zimmer gießt.
Bis zu den Achseln
steh ich in der Stille
und wart auf deinen Gruß.
Doch deine Stimme
Hast du achtlos liegen lassen –
schon vor langer Zeit.
Eng umschlungen blicken
wir durch die Fensterscheiben
in den Garten,
wo die Drossel auf der Wiese sitzt
und singt.
Ach, Einsamkeit, – du Schöne,
du bist bei mir. -
Aus meinem Tagebuch14.05.1993Da sitze ich auf
einem Stuhl und lache
oder schwatze
oder rauche eine Zigarette.
Und wenn ich hungrig bin,
gehe ich
und esse ein Stück Brot
mit Käse.
Das Wasser oder ein Glas
Schnaps ist immer ganz
in meiner Nähe.
Von der oberen Terrasse
ruft mir der Nachbar
einen Gruß herunter.
Meine Frau sitzt am
Fenster des Badezimmers
und liest.
Am Telefon erklärt mir
ein Freund, was ein anderer
Freund doch für ein
Arsch sei.
In diesem Meer von
Durchschnitt schwimme ich
wie ein glücklicher Fisch
und lebe den Traum
der Wirklichkeit
ohne fliegende Fische. -
Mai18.05.1993Oh Mai,
über dein Strahlen
fließt der Regen in klingenden Bändern.
Der Duft aus dem
Kern
der Silberlinde
spiegelt die Gerüche
meiner Kindheit.
Der Schmelz
des nahen Sommers
zergeht mir
auf der Zunge. -
Sonntag06.06.1993Es war heller Mittag
als ich eine weiße,
blankgeputzte
Porzellanwolke aus
der Tasche nahm
und sie liebevoll
zur nahen Grenze
zwischen Himmel
und Hügel
entkommen ließ.
Dort schickt sie sich an
zu warten,
ob ich sie wieder greifen würde.
Ich aber saß an einem
festen Tisch
voll Wein und Brot.
im offenen Hemd
ein Nest von Sonne.
Lange hielt ich deine Hand
und sah an deinem Haar
vorbei ins grüne Tal,
durch das sich sanft
mein Leben schlängelt. -
Besuch der alten Dame12.06.1993In der Dämmerung
des Sonntages
trat sie auf mich zu.
Eine ältere Dame
und sie roch nach
Mandelöl.
– Ich bin die Wahrheit –
sagte sie
und zog den Handschuh aus.
Alsbald löste sie
die Fesseln mir
an Händ und Füßen.
Sie nahm die Binde
mir vom Auge weg
und ganz zuletzt
den Knebel aus dem Mund.
Nun war ich frei
und nahm sie bei der Hand,
die zitternd sich um
meine schloss.
So gingen wir bergan
und sie erzählte mir
von Macht und Eitelkeit,
von Neid und Hunger,
auch von Grausamkeit und Tod.
Als sie dann schwieg,
sah ich sie an.
In ihren Augenwinkeln
las ich Mut und Liebe
und tief unten, hinter
der Pupille,
lodert hell
das heilige Feuer ihrer Jugend. -
Ein HeldenlebenNovember 1993Schon als kleiner Junge
suchte ich
die große, gedrehte
Muschel am Strand.
Man sagte mir,
in ihr fände man
die Klänge des Himmels
und der Erde.
Also machte ich mich
auf den Weg.
Im kalten Wind
fiel mir das Suchen schwer.
Und die Sonne
verbrannte meine Haut.
Aber der Wind
hat mir ein Lied erzählt,
und der Sonnenstrahl
traf meine Brust
wie einen fernen,
geheimnisvollen Gong.
Da war um mich Gesang.
Nun bin ich alt
und schlüpfe
aus meiner klingenden
Haut.
Der Wind bläht mir nur noch
die Jacke,
aber ich suche immer noch
am Strand die große,
gedrehte Muschel. -
Die RegenzeitNovember 1993Das Wasser tropft vom Mantel
auf die schweren Schuh.
Meine weichen Schultern
schaudern in der
rinnenden Nässe.
Rinnsale,
wohin ich schaue.
Unter dem Filzhut –
ganz krumm und
außer Form –
kann ich den Himmel
nicht mehr sehen.
Wasserlösliches
ist nun gelöst,
und hinter meinen Brauen
lauert er:
Aquarius, der Wassermann
und spült
in meinen Augenhöhlen
die Dumpfheit
und verworrne Ängste
hin und her.
Erst wenn der Asphalt
sich ins trockne Grau gekleidet,
wenn Sonne wieder
Stille auf den Rinnstein breitet,
verlässt er meine Stirne
auf dem Wege
zu den großen Meeren. -
Am Weg23.01.1994Schon immer hab ich
von dem langen Schlaf
geträumt,
der mich zum
taufrisch jungen Adler
macht,
zum Beutegeier,
der mit scharfem Schnabel
den Weg sich frei hackt
in die Unvernunft
der Wipfel.
Doch nun – so gänzlich
aufgewacht –
sitz ich am Weg
nahe bei der Sonne,
zwischen Schnee
und Schauern.
Die Augen voller Hoffnung
blitzen zwischen
Buschwindröschen.
Und kleine Knaben
legen Steine mir
auf Kopf und Schulter
wie auf den Grabstein
eines Prager Juden. -
Die Kunst des Vergessens24.10.1994Auf meiner langen Wanderung
grab ich im Mantelsack
nach meinen frühen Jahren.
Die Erwartung auf reiche Ernte
weicht selbst gemachten Erinnerungen.
Das Wollknäuel wird dick und dicker.
Der Anfang verbirgt sich
unter neuem Faden.
Vielleicht war er zu Beginn ganz weiß
oder grün und ganz dünn
oder voll Hoffnung. -
Nach dem Tod meiner Mutter17.11.1994Jetzt, wo sie tot ist,
weine ich unerbittlich.
Ich schneide mir die Hände
an den ausgehöhlten
Konturen
ihres Leibes.
Eine Schicht Leben
hat mich verlassen,
und ich habe es
zu spät
bemerkt.
Die junge Sonne
scheint ins Leere,
auch sie weißer als sonst.
Ich traure
mit den Wolken,
die sich bei genauem
Schauen
in Nichts
auflösen. -
Die Geschichte vom OrangenbaumZumAuf der Spur nach Süden
Hochzeitstag
1995
traf ich auf einen
zierlichen Orangenbaum.
Auf meine Frage
nach dem Weg ins Glück
schüttelte er leicht sein junges Blätterhaupt,
dass die kleinen Orangen wie Bernsteine aneinander schlugen
und die kleinen weißen Blüten
in der Frühlingssonne blitzten.
– Ich weiß es auch nicht –
sagte er – aber geht Euren
Weg weiter und macht es wie ich:
Seid Blüte und Frucht zugleich
das Ende ist im Anfang
und der Anfang im Ende.
Das Bäumchen machte sich wieder auf den Weg.
Ich blieb noch eine Weile stehn und dachte,
– schon wieder große Worte.
Aber vielleicht hat er
das Leben gemeint, nicht das Glück.
Ich nahm meine Frau
bei der Hand,
ging noch Jahre geradeaus
und stellte mir vor,
wie wir in zwanzig Jahren
aussehen würden
als Blüte und Frucht
zugleich. -
Der steinige Weg der Worte09.07.1995Zwischen Grasbüscheln
liegen sie schläfrig, unbeachtet,
nebenbei benutzt.
Erwachen zur Zeit
der Abendkühle.
Schütteln den Blütenstaub
von den Schultern,
kriechen über die Strasse –
jung, einfach, behände
die einen,
mit Fels am Bein
die andern, großen.
So dringen sie in unser Haus.
Scheinbar freundlich.
Die Eiterbeulen verdeckt
setzen sie sich zu uns
an den Tisch.
Spinnen ein Geflecht
aus Irrtum
und Mühsal.
Von diesem Netz
zu Boden gedrückt
geht unseren Herzen
die Luft aus. -
Ein Fremder in seiner Heimat19.09.1995Seit vielen Jahren fremd
bin ich geborgen.
Genaue Wege
Geräusche,
Gerüche, widerwärtig
Vertrauen ausströmend,
gleiche Gesichter,
ohne Biographie.
Die immer wieder
gleichen Wege
haben mein
Leben aufgesaugt
über Jahre.
Das Trottoir
gibt es nicht mehr her.
Und ich quäle
mich
mit der
Durchschnittlichkeit
meiner Bewegungen.
Freunde fallen von mir ab.
Manche sterben,
andere
entziehen mir
ihre Liebe.
Es bleibt mein
eigenes Gefühl,
wird objektiv
wie der Asphalt
auf meinem Weg
nach Hause. -
Die grosse Gondel VenedigNovember 1994
-
VenedigÜbergroßes Bild
aus den Herzen
und Träumen von
vielen.
Unbeschreibbar
beladen
im leichten Nebel
unter der Sonne.
In tiefster Seele
versunken schon
vor Jahrhunderten.
Uns aufgehoben
ohne sichtbaren Grund.
Am Leben erhalten
aus Mangel
eigener Visionen.
Deine Silhouette
verkauft nach
Osten wie Westen,
schmeckst du auf
deiner schwarzen
Seite nach Tang
und faulem
Wasser. Geliebt
trotz tödlicher
Verwundung. -
Das Gefühl durch Tore zu gehenDas Tor ist nichts.
Überdachte Begrenzung.
Balken zwischen alt und
neu, zwischen Dunkel und
Licht.
Geborgenheit und Freude.
Naht zwischen Hölle und
Himmel. –Angst und
Neugier; abgetrennte
Wünsche. Gnadenlose
Schwelle zu Gefängnis oder
Tod –
geschlossen oder offen – Gebärde des Bangens.
Ich wünsche mir
ein Tor aus zartem Marmorstein
von stattlicher Gestalt,
dass es mir Heimat ist.
Musik soll
in den Armen
schöner Frauen
hin und her
getragen werden.
Der Doge selbst
wird mich
in Hermeline kleiden
bis mich der Regen
aus demTraum
wäscht -
MaskenDie Maske
ist Dein wirkliches Gesicht.
Du schöne Stadt, Du
Maske aller tiefen Träume
trägst
steinern Ewigkeit in
jeder Falte der
gestanzten Wangen...
Nur Larven
Deiner Majestät
blasen
lebendigen Wind
durch Deine Gassen.
Unser Leben
stört Deinen Atem
wie weiche weiße Bäuche
toter Fische, die
an manchen Ufern
schlingern.
«Gib mir eine
goldene Maske,
dass ich reich werde, alt
und schön wie Du!» -
Mein Freund der Löwe von San MarcoDu warst schon auf dem Sprung,
als Dir die rüde
Zeit ein Schnippchen schlug.
Dein mächtiges Brüllen
hast Du verschenkt,
dem Gondelfahrer,
der mit verwundetem
Laut in dunkle Kanäle stößt.
Dein blondes Vlies
meißelt der Mond
in hundert Jahren zu roten
Specksteinseiten, und
Tauben gurren ohne
Angst vor Deinen Tatzen.
Doch kommt der Tag,
da du auf schlanker
Säule thronst
– die Flügel ausgebreitet –
und abhebst,
wenn die Stadt versinkt,
mit mir an Deiner Seite
über Wolken,
Land und Meere fliegst,
bis dann in Samarkand
vielleicht
Dein Atem wieder glüht. -
Eine Armee der PfähleIch schlage euch zu
Rittern von Venedig. Die
weißen Ritter mit dem
goldnen Helm. –
Blauweiße starke Stäbe,
vergessne,
heimlich desertierte
Bajuwaren;
und unten links
der elegante
blau-weiß-rote
goldene Franzos.
Eine Armee von Pfählen,
ein reines,
stark geschältes Holz
auf dem Weg
nach Jerusalem.
Ich liebe Eure
leuchtend frohen
Farben.
Der schwache, faule
Fuß im Wasser dort
treibt Tränen
mir ins Aug
bis dann die immer
goldne Wintersonne
den nassen Marsch
im grünen Algenspiel
versilbert. -
Das Lied von dem bösen FensterLicht kommt nicht
durch eure Fenster, Ihr
Wachposten für Vögel
und Flaschen. Selbst
die Blumen drängen
sich ängstlich der
schweren, verwitterten
Decke entgegen.
Ihr Fenster
erzählt nur
gläserne Legenden
vom Wind
und dem Meergeruch,
von alten Schlachten
und arabischen Mohren.
Ein reicher Märchengeist
weist uns ins taube Tabernakel,
ins Allerheiligste zurück.
Du, Fenster mit dem Gitter
dort
gibst Antwort.
Der weiche Sonnenstrahl
schlägt seine Zelte
auf im Innen
Deiner Räume. -
Venedigs BrückenNiemals sah ich
Brücken wie hier.
Monumente – in
sich ruhend. –
Den Bogen
gespannt.
Ohne Anfang
und Ziel.
Brücken
wie Häuser
um darauf
zu wohnen.
Schiffe, Inseln,
festgezurrt, –
eigenes Leben
überm Wasser
zelebrieren. -
Graues VenedigManchmal
liegt Trauer
über der Lagune.
Ein grauer
Schleier,
hinter dem
das Wasser
kälter scheint,
die Plätze
schweigsamer
und die Toteninsel
gänzlich
entrückt. -
Plastik-BlumenBraucht eine Stadt,
die nur Bilder
erzeugt
im Innern
ihres Betrachters,
Natur?
Wären
Plastik-Blumen
nicht auch
haltbarer
in der
Erinnerung. -
Ganz nebenbeiGanz nebenbei
entdecken wir
menschliches Leben.
Gemüse, Fleisch, Honig,
Tabak.
Emsiger Alltag,
der sich nicht
schert um
die heilige Kunst.
Und plötzlich
denke ich
an meine Straße
und an die
Bäume
hinter unserm Haus
und bin
glücklich. -
Die Dächer von VenedigEin Teppich aus Flickwerk
über Jahrhunderte geknüpft.
Erneuert hier,
zerlöchert dort.
Gelegentlich
bürokratisch geordnet
am großen Platz
vor dem Dom.
Unter dieser
warmen, provisorischen
Decke schlafen
alle Katzen gut,
und schlummern
die Sehnsüchte
vieler Generationen. -
KirchenDie Kirchen hier zeigen sich nur im Sonntagsgewand
voll Schönheit und Würde. Aber der
zufällige Blick in die Sakristei lässt mich
frösteln im Windhauch eines Totenkults. -
SäulenSteingewordene Gebärde des Geistigen.
Erdgeborenes Streben aus der Materie.
Lautlose Suche nach dem himmlischen Weg
aus der Mitte der Erde. Verletzbar von allen Seiten. -
Die große Gondel, VeneziaSchwankend bleibt der Fuß
– vom schaukelnden
Rhythmus der Boote
verführt –
auch an Land.
Doch unter dem
Land ist auch
Wasser.
Tückische List
der Geschichte.
Ganz Venedig
ein Schiff,
das trotz Narben
und Schwären
mit der Grazie
einer alten
Dame
die Lippen
nachzieht. -
Eine sechsköpfige HydraEine Gruppe von Menschen.
Eine Gruppe von Männern und Frauen.
Eine Gruppe von
kirchlich Getrauten.
Eine Gruppe von Freunden.
Wer wollte da
Köpfe abschlagen,
zumal sie nicht
nachwachsen?
Die Stadt
in ihrer trauernden
Schönheit
umringt
unseren kulturellen
Reigen. -
Falsche ParadieseGedichte von 1995–1999
-
Zacharias21.01.95Allein dein Name wird mir zur Gestalt.
Ein Mann wie ein Fels –
mit leuchtenden Augen
begegnest du dem Engel,
aber dein Verstand macht das Haar
dir grau,
drückt wie Blei deine Seele.
Du glaubst nicht an den Sohn,
der dir versprochen.
Der zürnende Engel
zerreißt deine Zunge.
Dein Unglaube gebiert
dein Verstummen
bis ans Ende deiner Tage
Gottes trauernder
Vater des Johannes. -
Im Spiel der Steine16.03.1996Voll Verwunderung
lehne ich
an der Mauer meiner Jahre.
Greife andächtig
ins feuchte Moos,
dem Regen zugewandt.
Das Grün braucht seine Zeit.
Der trockene Stein
schürft mir den Rücken wund.
Ich bleibe still
und spüre kaum die Last.
Die Augen springen
in die hellen Bilder
über mir.
Ich sehe Euch alle
ohne Arg.
Die listige Erde
zupft mir die Saiten
der Himmelsharfe –
und Joseph im roten Mantel
häuft Lapis auf meine Schultern. -
Private Feststellungen18.08.1996Sinkt die Nacht
und existiert kein Licht,
auch nicht als Dunkelheit,
dann bin ich wie im Lichtspieltheater.
Der Film zu Ende,
das Licht im Saal noch nicht an.
Punkte des Lebens voller Verzweiflung.
Die Gedanken fließen zu hastig,
eigentümlich ungenau,
zerspritzen wie unter dem Druck
von Hyperventilation.
Ich habe die Atemwelle verloren,
mein Lieblingskind.
Das Herz schlägt schnell und wild.
Es klopft wie eine Fremde,
die mich mit eilig lautem Absatz
verlassen möchte.
Ich taste im Dunkeln
nach meinem Herzen,
nehme es in die Hand
wie einen aufgeregten kranken Vogel
und flüstere ihm Kindergebete
in seine Kammern,
bis mein ganzes Innere
leise murmelnd
sich aus dem flauschigen Sessel erhebt,
getroffen von elektrischen Lichtbündeln.
Cool mich wiegend wie John Wayne
begebe ich mich ins Freie
in den Strom aus Mittelmaß. -
Der Tod des Drachen21.10.1996Im Park unter meinem Fenster
die Buche goldbraun
im strähnigen Regen.
Ein Drache im Geäst,
schwer gestürzt,
aufgespießt
vom Buchenast,
hängt dort traurig,
von Zephyr verhöhnt.
Goldgelbes leuchtet
aus den Rissen
seines Falls.
Das Band
mit weißen Schleifen
schaukelt mit den
Regenstrahlen.
Am Abend
– meine Trauer
hatte mich erst
kurz verlassen –
lag der Drache
tot am Boden,
im Kreuz gebrochen
durch die schweren Lasten
meiner schmerzenden Gedanken. -
Ostern01.04.1997Ein Meer von Osterglocken
reckt seine Kelche in den Himmel,
versprüht, vergeudet
die schweren Gedanken
des vergangenen Winters.
Ein Duft vergorener Augenblicke
durchzieht das Tal.
Die schwarzen Schafe
auf der Friedhofswiese
büßen in der Herde
ihre Einzigartigkeit.
Ich singe sie an
und sie sammeln sich um mich
wie oft zuvor.
Die Luft ist rein und kalt.
Noch fehlt die Wärme mir
im klaren Blick.
Doch mit dem Zug Frühlingswolken
kehrt schmeichelnd dieser Schmerz zurück.
Der Schmerz aus Märchen und Bühne,
gespeist aus Eitelkeit
und kindischem Herzen.
Ein Kunstprodukt,
gemacht für mein
papierenes Leben
aus zweiter Hand.
Unfähig bin ich
dem Auferstandenen
zu glauben. -
Eine kleine Reise ins Blau10.04.1997Die weiße Sommerwolke
steht vor meinem fliegenden Fenster
wie Marmorstein.
Ein kunstvoll verschränkter Turban
auf meinen Gedanken.
Der taufrische Blick
zwischen deinen Schläfen aus Porzellan
zwingt meine Worte
zurück in ihr Versteck.
Selbst mein Wunsch zu weinen
findet keine Gesellen.
Ich – geboren als ein Mann der Worte –
verstumme ohne Angst
und warte,
bis die Marmorwolke
den Kopf erhebt von meiner Brust
ins hohe Blau –
und ganz weit oben
ihr Geschick erfüllt. -
Der Überfall der Gesichter17.09.1997Zu nah bei mir
die Einzelteile.
Münder wie Wunden.
Sommersprossen wie Ameisen
kriechen mir in mein Gehirn. –
Kleine, rote Adern platzen
auf meiner Stirn
wie das Ei des Küken, das
aus dem Nest geworfen.
Nasenlöcher lösen sich aus der Haut,
halten sich an den Händen,
basteln mir hämisch
eine Blindenbrille.
Im Augenblick des Dunkels
fällt krankes, gelbes Haar
über die leergeblasenen Augen
um mich her.
Ich reise auf dem metallenen
Lethe-Fluss.
Der Überfall bleibt ohne Beute –
und ich bin schon wieder
übers blaue Meer. –
Schiffbrüchig –
auf der Insel meiner Träume. -
Nach der Nacht26.09.1997Am Morgen
dachte ich immer noch
über das Leben nach.
Der Weg zwischen
Verschmelzung
und Auflösung,
die unerbittliche Schiene
zwischen Zeugung
und Zerfall.
Beginnend mit Liebe –
endlich der Tod.
Menschenhand,
unvollkommen,
schwerblütig.
Menschenwort,
trostloser Auswuchs des Geistes.
Menschenseele,
geheimnisvoller Ruf
nach Erlösung. -
Lago d'OrtaVilla Rana,Das Armsünder-Glöcklein
Oktober 1997
läutet zwischen
Stromdrähten und See,
grüßt schüchtern
meinen streunenden Blick,
der nordisch fordernd
vorübersegelt
an der sanften Glut
der schlummernden Palazzi.
Ein kleiner Wind
schaukelt die Khakifrucht,
und während der See
mit bläulicher Seide
seine Schlafstatt decket,
springt der eiserne Frosch
des Franz von Assisi
am Sacromonte
aus seiner düsteren Kapelle
in mein jung gebliebenes Herz.
Die Freunde
versäumen schlafend
mit Augen voll Sand
mein Glück. -
Läuterung07.10.1997Ich – ein Tänzer
auf dem Grat des Alters –
kämpfe um die Gunst,
auf Liebe zu verzichten.
Ich gebe meine Hände ab,
die Beine, das Geschlecht,
und wuchere nur
mit Aug und Ohr.
Und selbst das Wort,
die schärfste Klinge
meiner Eitelkeit,
leg ich zum
besten Wein
in meinem Keller.
Dort soll es reifen
bis zum Tag
meiner letzten
Atemzüge. -
Steine auf meiner Seele18.10.1997Ein neuer,
unbekannter Schmerz,
ohne Farbe,
ohne Anfang und Ende
streift mein Herz.
Er schleicht sich
hinter Aug und Schläfen,
namenlos,
ein zarter Schnitt
durch Glas,
Wolle und Fleisch.
Im Schatten meiner Märchenaugen
hinterlässt er
blutige Spuren.
Ich möchte vor Scham
erbrechen,
doch mein Hang
zur Bourgeoisie
lässt das nicht zu.
Ich bedecke
meine Wunden
mit dem alten Grün
vor meinem Fenster,
heilend wie Sarnickel
aus Gleichmaß
und Erinnerung. -
Am Ende dieses Jahres27.12.1997Stumm schwimme ich auf
dem Rücken
im Jahressee.
Zwischen Wochenästen
und zarten Tagesblättern
der Seerosen,
meine Seele
hat sich dem Guten
zugewendet.
Ich lerne zu hören
und streichle die Ränder
der harten Steine
an meinem Weg.
Mit schmerzenden Händen
erhalte ich mein Lächeln
aufrecht.
Auf der Suche
nach Liebe
gerate ich
zwischen die Mühlsteine
meines schändlichen
Verhaltens.
Und am Rand
meines Lebens
schaukelt
Schlafes Bruder. -
Dreaming02.01.1998Ich hab getanzt
heut Nacht.
Ich erinnere mich
an den Mond
und silbern zuckendes
Wasser.
Der warme Wind vom See
wickelt sich um
meinen aufgekratzten Leib,
schmiedet mich um
zur stillen Mumie.
Und sie verhält im Schritt,
verbindet mit dem
ausgedienten Schleier
die Mumienaugenlöcher,
mir bleibt der Duft
von frisch geschnittenem Gras.
Auf meiner Nase
trippelt die Braut,
die gestern noch
hinter der Ecke
auf mich
gewartet hat. -
Krieg der Träume06.01.1998Zwei Träume streiten
In meiner Nachttischschublade,
welcher der Schönste sei.
Der aus weißgrauem Marmor behauptet, ich hätte ihn
gestreichelt und mir mit ihm
die heiße Stirn gekühlt.
Danach hätte ich ihn zart
zurückgerollt bis an die
Rückwand der Lade, von
wo sich ein ebenfalls
grauweißer Klang zurückgeschlichen
und liebevoll
um meinen Hals gelegt hätte.
Ja, das mag schon sein,
entgegnete der andere von
Seidenlicht durchflutete
grüne Jadetraum,
aber mich, mich hat er
geküsst.
Leider konnte ich nicht
eingreifen, als die beiden
hart aufeinander schlugen
und zerbrachen.
Ich schlief diese Nacht
tief und traumlos. -
Ein Irrtum03.02.1998Der Pfahl im Fleisch
ist grün wie Jade.
Im Traumlicht
meines Herzens
gaukelt er mir
Hoffnung vor.
Als ich ihn
herausreiße,
quillt
beschriebenes Papier
aus meinem
offenen
Hemd. -
Eine Form der Resignation04.02.1998Würdelos
fallen Gefühle auseinander,
wie Stäbchen beim Mikado
rollen sie über
Tisch und Kante.
Im Dunkeln des Bodens
gehen sie der Welt
verloren.
Warum bin ich nicht so schön
wie meine Gedanken,
warum nicht so lustvoll
wie mein Ohr
und warum nicht so jung
wie mein Herz? -
Ein Attentat18.02.1998Man droht mir!
Zunächst nur meinem Mantel,
dann den Schuhen,
zuletzt meinem Hut.
Alle bedroht, in meinem Namen.
Als Schüsse fallen,
prallen sie ab
an der Schnalle
meines Gürtels.
Das zerquetschte Blei
fängt sich in der Tasche
meiner Jacke.
Ich bleibe unbetroffen,
nur der Wind schüttelt
meine weichen Knie.
Auf dem Weg zur Himmelstür
streichle ich meine
grauen Glieder
voll Zärtlichkeit.
Der Gedanke an Liebe
umhüllt meine Nacktheit
wie Drachenblut,
das Lindenblatt auf meinem
Herzen wird von meinen Feinden
sicher nicht erkannt. -
Falsche Haikus?Apulien, 1998Auf der blauen Schneide des Horizontes
tanzen weiße Boote.
In wenigen Wochen
werden sie meinen Sommer
vergessen haben.
Der Leuchtturm
streckt seinen Sicherheitsfinger
in die Sommerluft,
wenn wir sein Licht
ausknipsen,
ist er weg. -
Laura, der alte Mann und das MeerApulien, 1998Die unerbittliche
Grausamkeit
des Alters
weckt
den Wunsch
tot zu sein.
Vielleicht
als Held
zu sterben,
geliebt
für einen Tag
von allen.
Oder sich aufzulösen
in den freien
Räumen
der Gesetze
von Schönheit
und Geist. -
Abschied vom Trullo del sole fiorito28.07.1998Meine Hände lasse ich
in dem kühlen Brunnen,
der unendlich kreist.
Meine Füße schlummern
im zitternden Schatten
der Zeder des Libanons.
Meine Kleider habe ich
verbrannt
mit den Stoppeln des Kornes
auf Nachbars Feld.
Mein nackter Leib
ruht süß
unter dem reinen Bogen
unseres Schlafgewölbes
im Schutz
der silbernen Mondsichel,
die Angelo uns schenkte.
Aber unsre Seelen schwingen sich
durch weiße Städte,
verweilen in den Armen der Freunde,
versinken im Schoße der Musik
und landen wie
zwei Schmetterlinge
auf den Schaumkronen des adriatischen Meeres.
Nur unser Geist tut im Norden seine Pflicht. -
Nach einem Requiem28.10.1998Ein gelber Herbstklang
wirbelt durch meine Welten.
Ein warmer Wind
quillt aus meinen
angstvollen Gedanken.
Der lustvolle Ton
aus der Eibe
vor meinem Fenster
wandert durch meine
verwirrte Seele.
Musik fließt
wie verschüttete Farbe
mir den Rücken
und die Brust entlang,
bedeckt meine
wachsamen Augen
mit kunstvoller
Zufriedenheit.
Wirkliches
unterscheidet sich
nicht mehr
von Gewolltem.
Beim ersten Anflug
eines Lächelns
zerbricht
die ölige Farbe
in den Falten
meiner Augenwinkel. -
Seltsame AusflügeDezember 1998Man gönnt sich eine Pause
vom Gefühl.
Die Liebe fällt wie ein
gebrauchtes Taschentuch
in den Wäschekorb.
Ideen verharzen hinter
den Leitungsrohren
meiner Badewanne,
Selbstwerte verschwinden
wie Münzen in der Waschmaschine.
Es bleibt die weiche Haut
meines Körpers.
Ich streiche darüber
wie über den Lack meines
alten Autos.
Wüstensand klebt zwischen
meinen Fingern.
Und endlich bringt mich
der Ekel zurück
in den Kreislauf der Gefühle.
Die Pause ist vorüber,
die Lähmung beginnt, dem alten Chaos
den Weg zu bereiten.
Warum immer ich? -
Geburtstagslied für Doris28.01.1999Ich schenk dir ein Kleid
aus Zeit,
genäht mit Stoff
aus tickender Uhr.
Ein weißer Kragen,
paspeliert mit hellem Mittag,
kleine Pausen
in der leichten Ruhe.
Der Gürtel bestickt
mit Minuten, die nur
Nebensächliches erlauben.
Und dann der weite Rock
aus Samt,
gewirkt aus Tagen
zwischen Meer und Palmen,
gefärbt im goldenen Licht
der Wanderstunden
in den Bergen.
Doch über allem
liegt mein Herz
aus Ewigkeit -
Gebet eines ÄngstlichenJanuar 1999Müder Leib,
nun geh zur Ruh.
Erzittre du
und treib
den Engel,
dem ich Gutes tu,
zurück
in seinen Himmel. -
Ein TraumJanuar 1999Ich liege auf der Wiese,
den weichen Maulwurfhügel
warm in meiner Flanke,
kleine junge Veilchen
wachsen aus meinem Mund.
Meine Stimme voller Erde
hab ich über Nacht verschenkt.
Mir bleiben die Gedanken
und die Augen.
Eingesponnen wie ein Kokon
nehme ich den Weg
zurück
zu meiner Geburt. -
Gedichte von 1990 – 1995
Ein Gesang der Fragen 65 Auf der Party des Riesen 67 November 69 Im Zirkus 71 Im Strom 73 Italian Lover 75 Ankunft am See 77 Über das Warten 79 Die Dinge hinter den Dingen 81 Die Farbe der Liebe 83 Falsche Paradiese 85 An einem grauen Tag 87 Die guten Gesellen 89 Die Suche nach der vierten Dimension 91 Ein symbiotischer Narr 93 Der Flug der Schildkröten 95 Die Zeit der Bussarde 97 Ein Gesang der Fragen 99 Reiselied 101 Späte Begegnung 103 Aus meinem Tagebuch 105 Mai 107 Sonntag 109 Besuch der alten Dame 111 Ein Heldenleben 113 Die Regenzeit 115 Am Weg 117 Die Kunst des Vergessens 119 Nach dem Tod meiner Mutter 121 Die Geschichte vom 121 Orangenbaum 123 Der steinige Weg der Worte 125 Ein Fremder in seiner Heimat Gedichte von 1995 – 1999Falsche Paradiese 161 Zacharias 163 Im Spiel der Steine 165 Private Feststellungen 167 Der Tod des Drachen 169 Ostern 171 Eine kleine Reise ins Blau 173 Der Überfall der Gesichter 175 Nach der Nacht 177 Lago d'Orta 179 Läuterung 181 Steine auf meiner Seele 183 Am Ende dieses Jahres 185 Dreaming 187 Krieg der Träume 189 Ein Irrtum 191 Eine Form der Resignation 193 Ein Attentat 195 Falsche Haikus? 197 Laura, der alte Mann und das Meer 199 Abschied vom Trullo del sole fiorito 201 Nach einem Requiem 203 Seltsame Ausflüge 205 Geburtstagslied für Doris 207 Gebet eines Ängstlichen 209 Ein Traum -
Stefan KrampGeboren in Königsberg Ostpreussen
Aufgewachsen bei Dortmund, Nord-Rhein-Westfalen BRD
Nach dem Abitur Gesangsstudium in Freiburg/Breisgau bei Prof. Fritz Harlan, Stipendiat des Evangelischen Studienwerkes
Gesangsstudien am Konservatorium in Basel, Schweiz
Acht Jahre festes Engagement im Opernensemble Basel
Seit 1970 verstärkte Konzerttätigkeit, und weiterhin gastweise an der Oper
Lehrauftrag für Gesang an der staatlichen Hochschule für Musik in Freiburg, BRD
Ab 1979 Dozent für Gesang am Konservatorium Winterthur und der Musik Akademie Basel
Konzerte in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien Dänemark und der Tschechoslowakei
Auftritte am Festival Estival in Paris, an den Settimane Musicale di Stresa, dem Festivale di Ascona und bei den Choralies von Vaison-la-Romaine
Regelmässige Aufnahmen beim Westdeutschen Rundfunk, Süddeutschen Rundfunk, Süd-West-Funk, Radio Svizzera Italiana und Radio France
Fernsehauftritte bei ARD und beim Deutsch-Schweizer Fernsehen
Verschiedene Schallplatten-Aufnahmen
Lebte mit seiner Familie in Basel. Gestorben im Februar 1999Harry MorathGeboren und aufgewachsen in Basel
Schulen in Basel
Handelsdiplom in Lausanne
Berufslehren in Basel, Weiterbildung in USA,
Meisterdiplom und Geschäftsleitung des väterlichen Betriebes für Sanitäre Installationen und Spenglerei
1984–1986 Studium der Architektur an der ETH Zürich
Eigenes Architekturbureau
Seit seiner Jugend ist Harry Morath an darstellender Kunst interessiert. Parallel zu seiner beruflichen Tätigkeit fertigte er bereits in den 60er Jahren Skulpturen und Reliefs aus Metall an. Die erste öffentliche Ausstellung datiert aus dem Jahre 1969 welcher viele weitere folgten. Seither widmete er einen Grossteil seiner Zeit der Kunst und dem Anfertigen von Skulpturen, was zeitweise zu seiner Haupttätigkeit wurde. Durch seine Arbeit als Architekt erhielt er Aufträge für Kunst am Bau und wurde zur Teilnahme an Wettbewerben eingeladen. Er lebt in Basel und in den USA. -
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ISBN 978-3-9523343-6-2