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Ereignisse
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Impressum
Erste Auflage: 2009
Copyright © 2009 by Harry Morath
Texte & Zeichnungen: Harry Morath
Lektorat: Sabine Kronenberg
Satz: Tom Wirth
Druck: Druckerei Schürch AG, Huttwil
Printed in SwitzerlandVorwortManchmal beim Einschlafen fliessen meine Gedanken durch Erinnerungen und stossen dabei auf Ereignisse, die ungewöhnlich waren – die anders verlaufen sind als erwartet. In meinem ersten Buch «Momente» habe ich solche Begebenheiten festgehalten. Nun sind weitere dazu gekommen, die ich hiermit als Fortsetzung der «Momente» publiziere. -
Inhalt
Schorniggel 7 Teheran 53 Deltasegler 9 Korsika 55 Das Caramelköpfli 11 Der Hilfsarbeiter 57 Das Güllenloch 13 Barfuss 59 Mövenpick 15 PS 61 Corcovado 17 Das Oberlicht 63 Der Raucher 19 Die Einweihung 65 Der Architekt 21 Die Quittung 67 Stufen zur Feiheit 23 Grosse Fahrt 69 Kölnisch Wasser 25 Verjüngungskur 71 Rio Negro 27 Gare de l'Est 73 Das Inserat 29 Die Versöhnung 75 Die Münze 31 Santa Lucia 77 Duke Ellington 33 Rigi 79 Belohorizonte 35 Tonga 81 Herrensohn 37 Das Hörgerät 83 Syros 39 Weihnachten 85 Die Höhlen 41 Das Schneebrett 87 Frau Buume 43 Heiligenschein 89 Ventotene 45 Der Einer 91 Dents du Midi 47 Das Kornfeld 93 Am Pool 49 Flugplatz in Afrika 95 Der Opernsänger 51 -
SchorniggelDas früheste Ereignis, an das ich mich erinnere, ist die Geschichte mit dem «Schoreniggel». So nannten wir die kleinen, unreifen Früchte der Rosskastanie im Kindergarten. Ich war fünf Jahre alt.
Wir Kinderschüler spielten im Sandkasten bei der St. Alban-Kirche. An den grossen Kastanienbäumen rund um die Kirche wuchsen gerade die ersten Schoreniggel. Ich fand einen im Gras und rieb ihn auf der Betonumrandung des Sandkastens wie auf einer Raffel. Das hinterliess rote Spuren auf dem öden Grau. Als die Kindergärtnerin mein Werk entdeckte, schimpfte sie: Das hättest du nicht machen dürfen, jetzt kommst du in die Hölle!
Dieser Satz versetzte mir einen Riesenschock. Darum betete ich auf dem Rückweg vom Sandkasten zum Kindergarten und jeden Abend im Bett, wenn die Mutter mit uns Kindern das Nachtgebet sprach: der liebe Gott möge mir noch einmal verzeihen und mich nicht in die Hölle schicken. -
DeltaseglerEs war ein grauer Tag im Winter 1975. Der matschige Schnee vom Vortag war gefroren. Ans Skifahren war nicht zu denken. Dafür gab es in Les Diablerets einen Kurs für Deltaflieger. Ich schrieb mich ein. Schon am nächsten Tag konnte ich teilnehmen und hüpfte mit den andern Novizen während zwei Tagen einen kleinen Übungshang hinunter. Am dritten Tag führte uns der Fluglehrer mit dem Sessellift auf einen Bergkamm, von wo aus wir ins Tal segelten. Noch war ich zu unerfahren, um mich längere Zeit in der Luft zu halten. Der Segler sank schnell in die Tiefe und nur mit knapper Not überquerte ich die Tannenspitzen. Nun war der Kurs zu Ende. Am nächsten Morgen beschloss ich alleine auf den Bergkamm zu fahren und von dort wieder ins Tal zu gleiten. Als ich in einer Waldlichtung landete, stand dort ein grosser hagerer Mann mit seinem Sohn. Daneben lag ein Deltagleiter. Der Herr fragte mich ob sein Sohn mit mir hinauffahren und dann von dort mit mir hinunter gleiten könne? Sein Sohn hätte soeben einen 3 tägigen Kurs hinter sich und er als Vater sei besorgt und wolle ihn nicht alleine segeln lassen. Ein kundiger Begleiter wäre ihm darum willkommen. Ich wollte dem Herrn nicht sagen dass ich genau so unerfahren sei wie sein Sohn. Wir fuhren darum zusammen auf den Berg und segelten, für beide zum ersten Mal ohne Begleitung ins Tal. Unterwegs fragte ich den Jungen nach seinem Namen. Er sagte Bertrand, Bertrand Piccard.
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Das CaramelköpfliEine Freundin litt unter dem Zucken des Augendeckels. Ein solches Zucken ist sehr unangenehm, es kann nicht beherrscht werden. Da ihr kein Arzt helfen konnte, besuchte Sibylle eine Maltherapeutin, die ihr empfohlen wurde. In der ersten Malstunde bat die Therapeutin sie solle ein Dessert malen, eines das sie sehr gerne habe. Also malte die Freundin ein Caramelköpfli, schön farbig, gelb und braun. Doch für die Therapeutin war das Bild zu wenig süss. Sie solle mehr Caramel darüber "giessen" und auch eine Portion Schlagrahm oben drauf setzen. Als das Caramelköpfli fertig gemalt war, bemerkte die Freundin, dass das Augenlid nicht mehr zuckte. Es war kaum zu glauben. Immer wieder schloss sie die Augen, doch das Zucken kam nicht wieder. Ein Wunder war geschehen. Und noch heute wenn das Lid wieder einmal zu zucken beginnt, dann nimmt sie das Bild hervor, schaut das Caramelköpfli an, und das Zucken ist weg.
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Das GüllenlochWir besuchten eine verwandte Bauernfamilie im Kanton Aargau. Der Bauer war stolz, denn sein Hof war neu. Er führte meine Eltern durch den Betrieb und zeigte ihnen die verschiedenen Einrichtungen. Meine Schwester war 4 und ich 7 Jahre alt. Jedes ging seine eigenen Wege. Meine Schwester schaute vor allem die Tiere an, ich das Gebäude und die Einrichtungen. Als ich wieder beim Bauern und den Eltern war horchte der Vater plötzlich angestrengt in eine Richtung. Er hörte ein Wimmern das eher wie von einem Menschen als von einem Tier klang. Die Männer suchten nach der Herkunft der Stimme und entdeckten, dass es aus dem Güllenloch kam. Der Deckel desselben war nicht korrekt aufgelegt. Als sie diesen wegschuben schwamm unten in der Jauche meine Schwester. Mein Vater zog das kleine Mädchen heraus, das schrecklich hustete und schon leicht blau war. Die beiden Männer hoben es hoch und hämmerten auf seinen Rücken, damit es die Jauche in ihrem Mund heraus gab. Dann setzten es die Eltern im Wohnhaus der Familie in die Badewanne und wuschen die stinkende Jauche ab. Da Mädchen war gerettet. Die Schwester war ins Güllenloch gefallen. Ich hatte den Deckel, nachdem ich nachgesehen hatte, was in diesem Schacht war, nicht mehr richtig aufgelegt.
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MövenpickWir waren auf einer Reise in Skandinavien. Für die Rückreise hatten wir von Hamburg bis Basel den Autozug bestellt. Vor dem Beladen des Zuges gingen wir im Restaurant Mövenpick zum Nachtessen. Wir stellten das Auto in eine nahe gelegene Parkgarage. Als wir das Auto auslösen wollten, stellte meine Frau fest, dass sie die Handtasche mit allem Geld, beiden Pässen und den Zugtickets im Restaurant zurück gelassen hatte. Ein Schock durchfuhr uns. Wir rannten mit Herzklopfen ins Restaurant zurück, doch niemand, auch nicht die Serviertochter, hatte die Tasche gesehen. Wir rannten zur Polizei, wo wir trotz enormem Zeitdruck eine Verlustmeldung erhielten. Wir rannten zur Parkgarage um das Auto auszulösen, ohne Geld. Mit viel Überredungskunst liess sich der Parkhauswächter erweichen und gab uns das Auto heraus. Anschliessend mussten wir den Autoverlader und den Zugschaffner davon überzeugen, dass wir kein Geld und keine Ausweise hatten. Als wir endlich im Zug sassen brach meine Frau in Tränen aus. Am nächsten Tag in Basel begannen wir uns um die verlorenen Ausweispapiere, Kredikarten und Pässe zu kümmern. Da schellte das Telefon. Der Direktor des Restaurants Mövenpick Hamburg war am Apparat. Er fragte: vermissen sie eine Handtasche? Eine Handtasche? Ja natürlich! Sie sei in seinem Restaurant an der Lehne eines Stuhles gehangen. Er käme nächste Woche in die Schweiz und würde ihr die Tasche bringen.
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CorcovadoNachdem wir nach Rio de Janeiro gesegelt waren besuchten mein Freund und ich die monumentale Christusstatue auf dem Berg Corcovado, neben Rio de Janeiro. Der Christus beschützt die Stadt. Auf dem Rückweg liessen wir uns in einem Restaurant am Fusse des Berger und am Rande eines hundert Meter hohen Wasserfalls nieder. Das Wasser schoss über mehrere Stufen die Felswand herunter, stäubte und brauste ohrenbetäubend. Der Wasserfall war die Attraktion des Restaurants, von welchem aus sich die Touristen das Naturschauspiel ansahen. Plötzlich ging ein Schrei durch die Menge. Mit dem Wasser schoss ein Mensch kopfüber die Felswand herunter. Im Fall schlug er mehrmals auf den Felsen auf bis er unten tot liegen blieb. Nach einigen Minuten ging ein Polizist auf den Toten zu, zog einen Taschenspiegel aus der Hosentasche und hielt ihn vor den Mund des Opfers. Jetzt war der Polizist sicher, der Mann war tot.
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Der RaucherAls Lehrlinge rauchten wir. Schliesslich waren wir richtige Männer. Für mich mussten es die starken Gauloises bleu sein, die auch die französischen Filmstars rauchten.
Während meiner Lehrzeit machte man noch eine Mittagspause von anderthalb Stunden. Ich fuhr immer mit dem Velo nach Hause zum Essen. Einmal kam ich am Nachmittag gerade wieder im Geschäft an, als mir der Werkmeister entgegen rannte und rief: Umkehren, fahr sofort nach Hause, es brennt! Ich wendete und trat voll in die Pedale. Von der Wettsteinbrücke aus sah ich unser Haus. Aus meinem Zimmerfenster stieg eine Rauchwolke.
Vater tobte, als ich ankam: Du hast deine Zigarette brennend in den Papierkorb geworfen! Das Feuer hatten meine Eltern bereits mit Eimern voll Wasser gelöscht. Das Zimmer sah traurig aus: die eine Wand war schwarz und die Vorhänge verkohlt. Dieses Ereignis jagte mir einen solchen Schrecken ein, dass ich das Rauchen für immer aufgab. -
Der ArchitektIch besass ein kleines, altes Mehrfamilienhaus in Kleinbasel. Als eine Renovation anstand, beauftragte ich einen Architekten aus meiner Bekanntschaft damit.
Eines Tages fragte er mich, ob ich ihm das Haus verkaufen würde. Er plane eine Grossüberbauung im Quartier. Mitten auf dem Areal befände sich aber ein Einfamilienhaus, das ihm der Besitzer nicht verkaufen wolle. Wenn er diesem mein Haus, das ganz in der Nähe liege, zum Tausch anbieten könne, lasse sich die Überbauung vielleicht doch realisieren. Wenn ich einverstanden sei, könne meine Firma dann die Spenglerarbeiten für die Grossüberbauung ausführen.
Ich war einverstanden, denn der grosse Auftrag interessierte mich sehr. Ich verkaufte ihm das Haus zu einem günstigen Preis. Weil ich den Architekten gut kannte, verzichtete ich darauf, mir die Spenglerarbeiten schriftlich zusichern zu lassen. Ein Mann, ein Wort!
Ich hatte meinen Betrieb auf die bevorstehende Arbeit vorbereitet, als es zur Vergabe kam. Da stellte sich meine Offerte als teurer heraus wie diejenige der Konkurrenz. Deshalb wollte ich den Preis mit dem Architekten verhandeln. Doch dazu gab er mir keine Gelegenheit. Zwei Wochen liess er sich verleugnen. Dann kam ein zweizeiliges Schreiben: Die Arbeit sei anderweitig vergeben worden. Ich musste Leute entlassen. -
Stufen zur FeiheitWollte ich als junger Mann abends mit Vaters Auto ausfahren, musste ich immer bis Viertel nach zehn warten. Dann gingen meine Eltern üblicherweise in ihr Schlafzimmer hinauf, und ich konnte mich die vielen Treppen hinunterschleichen zur Garage am Rhein.
Aber Vorsicht war geboten, denn oben knarrte die Holztreppe! Obwohl ich längst wusste, wo ich auftreten musste, blieb ich bei jedem Knarren stehen und lauschte, ob der Vater etwas gehört hatte. Dann stellte er nämlich sogleich die Nummer meines Zimmertelefons ein, um sich von meiner Anwesenheit zu überzeugen. Ich brauchte nur schnell zurückzurennen und den Hörer abzuheben. Danach hatte ich freie Bahn, denn die unteren Treppen waren aus Stein.
In der Garage angelangt, fuhr ich mit Vaters schönem Auto langsam hinaus in die Freiheit, um allein, mit Kollegen oder Mädchen etwas zu erleben. -
Kölnisch WasserEinmal hatte ich mich mit einer Direktionssekretärin der Firma Geigy verabredet. Sie war älter als ich und hat mich angezogen. Sie hatte einen üppigen Busen, war intelligent und aus guter Familie. Sie hatte ihr Zimmer in einer Villa im Park der Solitude. Als ich später in ihrem schmalen Bett lag störte mich ihr Körpergeruch und das Kölnisch Wasser, das sie sich angesprüht hatte. Ich konnte mich ihr deshalb nicht nähern. So verlief die Nacht ohne Zärtlichkeiten. Darum wartete ich bis sie eingeschlafen war, kleidete mich lautlos an, verliess auf den Zehenspitzen die Villa und fuhr nach Hause. Als mich der Vater mit dem Haustelefon weckte lag ich wie immer in meinem Bett.
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Rio NegroIn einer Gruppe von elf Personen fuhren wir mit einem Boot den Rio Negro hinauf. Auf dem kleinen Schiff der einheimischen Caboclos schliefen wir in kreuz und quer übereinander befestigten Hängematten. Wir hatten am Fluss bereits verschiedene Tiere kennengelernt, doch unser Führer Tatunka wollte uns auch das Innere des Amazonasgebietes zeigen.
So wanderten wir eines Morgens tief in den Urwald. Tatunka hatte eine Flinte umgehängt, um gegen Raubtiere gewappnet zu sein. Doch ausser grossen Blattschneiderameisen und einer Schlange entdeckten wir keine Tiere. Nach einem fast dreistündigen Marsch kehrten wir um. Die Hitze hatte uns ermüdet. Nach einer Stunde hielt Tatunka an. Er hatte sich in der Richtung geirrt. Da die Sonne zu dieser Jahreszeit im Amazonasgebiet genau im Zenith stand, wusste er nicht, wo Norden lag. Er hatte keinen Kompass, sondern verliess sich auf sein Gefühl und sein Gedächtnis. Wir schlugen eine neue Richtung ein. Nach einer weiteren Stunde Marsch liess uns Tatunka erneut anhalten. Wir waren müde und wurden zunehmend nervös: Nun schlug er eine dritte Richtung ein!
Sollten wir im Amazonas verloren gehen? Niemand würde uns hier finden. Welch unheimlicher Gedanke! Und auf dem Boden mit Millionen Ameisen und mit Schlangen zu schlafen, konnten wir uns nicht vorstellen. Wir versuchten unsere Gefühle zu verbergen. Manche beteten leise vor sich hin. Gesenkten Hauptes folgten wir dem Führer. Erschöpfung machte sich breit, wir kamen nur noch langsam voran. Da hörten wir plötzlich lautes Vogelgezwitscher. Der Lärm kam von den Vögeln am Fluss. Wir waren gerettet. -
Das InseratAls junger Mann hatte ich einmal auf eine Kontaktanzeige geantwortet. «Flotte Bernerin sucht Nichtraucher für schöne Stunden.» Gespannt fuhr ich nach Münsingen. Wie sah wohl eine «flotte Bernerin» aus? Als sich die Türe öffnete stand da eine nette, zirka fünfundzwanzigjährige Frau mit einem kleinen, weissen Hündchen auf dem Arm, das leise knurrte, als ich mich vorstellte. «Wotsch de ume stiu si, Fifi», schalt die Frau das Hündchen. Nachdem sie mich begrüsst hatte, und nach ein paar höflichen Worten, zeigte sie mir die Wohnung und unter anderem auch das Schlafzimmer. Das Hündchen sprang auf das Doppelbett, was ihm wieder eine Zurechtweisung eintrug. Die Bernerin brauchte nicht viele Worte. Im Handumdrehen waren wir beide nackt. Nun verstand ich auch, warum sie eine "flotte" Bernerin war. Auch die Ankündigung der «schönen Stunden» war gerechtfertigt, nur dass sich die "Stunden" auf 15 Minuten reduzierten und wir im Anschluss kein gemeinsames Thema mehr für eine Konversation fanden. Als ich wieder im Auto sass und über Nebenstrassen zurückfuhr, überkam mich eine wohlige Entspannung.
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Die MünzeJeden Sonntag assen wir Kinder im Haus der Grossmutter zu Mittag. Im Entrée stand eine Barock-Kommode. Damit sie nicht wackelte und die Schubladen nicht klemmten, legte die Grossmutter ein 20-Rappen-Stück unter den Fuss der Kommode.
Als wir das entdeckten, nahmen wir die Münze weg und ersetzten sie durch ein zusammengefaltetes Stück Papier. Am nächsten Sonntag war der Fuss des Möbels wieder mit einem Geldstück unterlegt. Doch diesmal waren es nicht mehr 20 Rappen, sondern ein Franken. Wieder ersetzten wir die Münze durch Papier. Von da an fanden wir jeden Sonntag einen neuen Franken unter der Kommode. Diese Tatsache wurde weder von der Grossmutter noch von uns Kindern jemals erwähnt. -
Duke EllingtonWährend meiner Schulzeit gab Duke Ellington im Casino Basel ein Konzert. Er war damals der berühmte Bandleader aus den USA. Wir Schüler waren grosse Jazzliebhaber und besassen Grammophonplatten der bekanntesten Jazzmusiker.
Natürlich liessen wir uns dieses Konzert nicht entgehen. Mit ein paar Kollegen sass ich im oberen Rang des voll besetzten Saales. Nach jedem Stück gab es Ovationen. Aus Filmen war mir bekannt, dass die grossen amerikanischen Orchester in vornehmen Lokalen auch zum Tanz aufspielten. Warum nicht auch im Basler Casino?
Darum ging ich während des Schlussapplauses auf die Bühne und fragte Duke Ellington, ob er noch zum Tanz aufspielen würde. Er war sofort einverstanden und drückte mir ein Mikrofon in die Hand. Ich nahm all meinen Mut zusammen und teilte dem Publikum die frohe Botschaft mit. Dann fegte das Orchester seine Stücke noch einmal so, dass man dazu tanzen konnte. Die Jungen drängten sich vor der Bühne und tanzten wilder als im Film. -
BelohorizonteIch reiste mit meiner Frau durch abgelegene Gegenden in Brasilien. Weil man uns gesagt hatte, wir sollten unser Gepäck dort nie unbeobachtet lassen, hatten wir beide nur je eine Reisetasche dabei. Bei mir kam noch die Fototasche hinzu. Darin verstaute ich nebst der Kamera Geld, Pässe und Rückflugscheine.
In Belohorizonte buchten wir in einer Reiseagentur Flugkarten nach Rio de Janeiro. Anschliessend fuhren wir mit dem Taxi zum Hotel. Ich bezahlte mit dem Kleingeld aus meiner Hosentasche. Beim Einchecken durchfuhr es mich wie ein Blitz: Wo war die Fototasche? Ich musste sie entweder im Taxi oder in der Reiseagentur liegen gelassen haben. Die Nummer des Taxis hatten wir uns nicht gemerkt. Blieb die Reiseagentur. Wir riefen sofort an, doch sie hatten keine Fototasche gefunden.
Es war spät am Freitagnachmittag. Wir riefen das Schweizer Konsulat in Rio de Janeiro an. Für die Erstellung von Ausweispapieren müsse man persönlich erscheinen, erklärte uns der Angestellte. Wie sollten wir das ohne Geld von Belohorizonte aus schaffen? Das Hotel musste ja auch noch bezahlt werden. Wir hätten ja Zeit, meinte der Angestellte, das Konsulat sei erst am Montag wieder geöffnet.
Wir waren verzweifelt. Mir fiel kein Ausweg aus unserer unmöglichen Lage ein. In der Nacht fanden wir kaum Schlaf. Am nächsten Morgen früh marschierten wir zur Reiseagentur in der Hoffnung, Hilfe zu finden. Die Dame am Schalter winkte uns freudestrahlend herbei: Die Putzfrau habe spätabends unsere Fototasche vor dem Schalter auf dem Boden gefunden – mit allen Wertsachen und Ausweisen! -
HerrensohnDas Institut in Lausanne, an dem ich Französisch lernte, frequentierten Söhne aus gutem Haus. Mit einem solchen, er war Schwede, freundete ich mich an. Als die Sommerferien vor der Tür standen, fragte ich Samuel, ob er mit mir eine Velotour in die Innerschweiz unternehmen wolle. Wir könnten dort ein paar Tage in unserem Ferienhaus verbringen. Gute Idee, meinte er, klar komme er mit. Er habe zwar kein Velo, aber er würde sich bis dann eines besorgen. Wir fuhren also eines schönen Morgens los durch die Freiburger Voralpen Richtung Innerschweiz. Wo er denn das Velo so rasch herhabe, fragte ich ihn unterwegs. Er habe einfach eines vom Strassenrand genommen, er stelle es nach der Tour dann wieder zurück.
Weil mein Taschengeld knapp war, übernachteten wir auf einem Bauernhof. Der freundliche Bauer zeigte uns den Heustock und verbot uns eindringlich, in der Scheune zu rauchen. Kaum waren wir allein, steckte Samuel sich eine Zigarette an. Passiert doch nichts, lachte er. Ich musste ihm die Zigarette und das Päckchen wegnehmen.
Als wir nach drei Tagen in unserem Ferienhaus ankamen, trafen wir dort Vaters Firmenchauffeur. Er holte mit einem kleinen Lastwagen Ware ab und durfte mit seiner Frau im Haus übernachten. Samuel war schockiert dass mein Vater so etwas erlaubte. Am nächsten Morgen gab es nur noch einen kleinen Rest Butter beim Frühstück. Den schnappte sich Samuel und kommentierte auf Französisch: Du kannst den Angestellten nicht auch noch die letzte Butter überlassen! Auf der Rückfahrt nach Basel fuhren wir zwei Jungen auf der Ladefläche des Lastwagens mit. Du hättest darauf bestehen sollen, dass wir vorne beim Chauffeur mitfahren, maulte Samuel. Die Frau hätte sich ja hierhin setzen können. -
SyrosKythnos ist meine griechische Lieblingsinsel. Dank gutem Wind hatte ich sie mit meiner Freundin von Kap Sounion aus in einem Tag ersegelt. Wir lagen in einer zerklüfteten und steilen Bucht an der Ostküste vor Anker. Am nächsten Tag wollten wir auf die ägäische Hauptinsel Syros segeln.
Es ging ein starker Wind. Ich musste Marianne Mut zureden. Wir erreichten Syros in vier Stunden. Nach einem kurzen Aufenthalt mussten wir zurück, weil der Wind zulegte. Eine Landung bei Nacht und Sturm an der Felsküste von Kythnos ist unmöglich.
Auf der Rückfahrt erreichte der Wind Sturmstärke. Wenn das Schiff in die Wellen eintauchte, klatschte viel Wasser aufs Deck. Ich musste die Segel mehrmals reffen, was allein nicht einfach zu bewerkstelligen war. Meine Begleiterin verstand nichts vom Segeln. Sie sass ängstlich in einer Ecke des Cockpits, in Schwimmweste und an der Lifeline. Plötzlich entdeckte ich, dass eine Welle das eine Ende einer Leine über Bord gewaschen hatte. Ich konnte es nicht zurückholen, weil es sich in der Schiffsschraube verwickelt hatte. Tauchen kam nicht in Frage. Der Motor war also nicht mehr zu gebrauchen. Wie sollte ich unter Segel und ohne Motor in die enge, felsige Bucht von Kythnos einlaufen?
Wir waren in Gefahr. Panik stieg in mir hoch, die ich mir aber vor der verängstigten Marianne nicht anmerken lassen durfte. Viel Zeit blieb uns nicht. Wir mussten Kythnos vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Vor der Küste gelang es mir, das Grosssegel zu bergen und die im Dämmerlicht liegenden Felsen nur mit dem Vorsegel anzusteuern und zu durchlaufen. Dahinter gab es etwas Sand. Ich rannte nach vorn, löste den Anker und liess ihn fallen. Wir waren gerettet. -
Die HöhlenAls ich mit Freunden in Slowenien war, besichtigten wir die berühmten Höhlen von Postojna. Obwohl ich mich in Höhlen immer fürchte, eingeschlossen zu werden, ging ich mit. Ich wollte kein Aussenseiter sein.
Wir fuhren mit einem kleinen Zug weit in den Berg hinein. Dann besichtigte die ganze Gesellschaft die riesigen, auf drei Ebenen gelegenen Höhlen. Ein schmaler Weg führte von Halle zu Halle. Die Decken und Böden bestanden fast ausschliesslich aus hellen Stalaktiten und Stalagmiten. Meine Klaustrophobie machte sich bemerkbar. Schlimmer war aber, dass ich vergessen hatte, meine Blase rechtzeitig zu entleeren. Es war kalt. Eine Stunde sollte die Besichtigung dauern!
Meine Gedanken kreisten um die Frage, ob ich nicht heimlich an so einen Kalkstein ... Undenkbar inmitten so vieler Leute. Mich allein wegzuschleichen, war auch nicht möglich. Ich hätte mich unweigerlich verirrt. Zudem war die Höhle blitzsauber. Also auf die Zähne beissen und die Muskeln spannen. Nach einer halben Stunde platzte meine Blase fast. Jeder Schritt war eine Tortur. Ich kann mich nicht erinnern, je so gelitten zu haben. Nach einer weiteren halben Stunde gelangten wir zur Haltestelle zurück. Und da gab es eine Toilette! Welche Erlösung! -
Frau BuumeWir hatten drei Ehepaare zum Nachtessen eingeladen. Da sich die Leute vorher nicht kannten und ganz verschiedener Herkunft waren, hatten sie auch völlig verschiedene Interessen. Es gab einen mühsamen Abend, an welchem die Gespräche nicht in Gang kamen.
Am Tag nach der Einladung begann eine Ausstellung meiner Skulpturen. An der Vernissage ging ich im Ausstellungsraum umher und begrüsste die Besucher. Eine der Besucherinnen betrachtete die Werke mit besonderem Interesse. Irgendwie kam sie mir bekannt vor. Ich ging auf sie zu und fragte nach ihrem Namen. Buume sagte sie, ich war doch gestern Abend bei Ihnen zum Nachtessen eingeladen. -
VentoteneVentotene ist eine kleine, wenig bekannte Insel im Tyrrhenischen Meer. Als meine Frau und ich die Insel mit dem Segelboot ansteuerten, gab es da noch kaum Tourismus. Der Hafen bestand aus einem Felsbecken, und es war schwierig in diesen ehemaligen Galeerenhafen einzulaufen.
Kaum hatten wir festgemacht, fragte uns ein junger Mann, wo wir zu Abend essen wollten. Es gäbe nur zwei Restaurants auf der Insel, und das eine gehöre seinem Bruder. Wir entschieden uns dafür. Um sechs Uhr holte uns der junge Mann ab. Wir marschierten los und stapften bald durch das hohe Gras über die Insel. Nach einer Dreiviertelstunde fragten wir ihn, wie weit es noch sei. Bald seien wir da, versicherte er uns.
Das Haus des Bruders stand inmitten üppiger Vegetation. Wir wurden überschwänglich empfangen. Der Wirt führte uns in einen leeren Saal ohne jede Gemütlichkeit. Wir waren seine einzigen Gäste. Nach der Bestellung zeigte er uns seinen Garten. Rings um das Haus wuchsen Mais, Bohnen und Gemüse. Die Beete waren von einem hohen Zaun umgeben und mit einem schweren, eisernen Tor verriegelt. Er müsse den Garten abschliessen, damit er nicht von Frauen betreten werde, erklärte er. Leider müsse auch meine Frau draussen bleiben. Letztes Jahr sei ein Grossteil der Pflanzen eingegangen, weil eine menstruierende Frau seinen Garten betreten habe.
Wir verliessen das abgelegene Restaurant nach dem Hauptgang. Auf das Dessert verzichteten wir. Der Rückweg zu unserem Segelschiff war zu lang, und Frauen waren hier nicht begehrt. -
Dents du MidiLaib, Rebsamen und ich, drei Studenten des Lausanner Instituts, wollten übers Wochenende die Dents du Midi besteigen. Wir trafen uns am Bahnhof. Kollege Rebsamen erschien in Sandalen und mit einer Aktentasche. Um ihn nach Hause zu schicken, war es zu spät. Wir fuhren bis zu einem Dorf, wo unser Aufstieg begann. Nach einer Stunde Marschzeit mussten wir auf allen Vieren einen rutschigen Steilhang über einem Tobel passieren. Doch wie sollte Rebsamen auf allen Vieren gehen? Seine Hände waren wegen der Aktentasche nicht frei, und seine Sandalen hatten kaum Profil. Wir hängten ihm seine Tasche mit einer Schnur um den Hals wie eine grosse Kuhglocke. Die Sandalen musste er ausziehen. Barfuss war er sicherer. Auf dem letzten Wegstück zu unserem Nachtlager in einer SAC Hütte mussten wir über einen Schuttkegel aus losen Schieferplatten aufsteigen. Bei jedem Schritt rutschten wir ein Stück zurück. Rebsamen musste wieder barfuss klettern. Die Tasche band ich Laib auf den Rucksack. Am nächsten Vormittag mussten wir nach wenig Schlaf ein grosses, ebenes Gletscherfeld überqueren. Wir erreichten es nach zwei Stunden Marsch. Der Schnee war gefroren, Rebsamen sank mit den Sandalen nicht ein, aber seinen Füssen drohten Frostbeulen. Es war neblig, und wir konnten kaum etwas sehen. Zum Glück hatten wir eine Karte. Hielten wir uns an die rechte Seite des Schneefelds, sollten wir zwischen zwei Felsenköpfen zum Ausgangspunkt des Abstiegs gelangen. Doch die beiden Felsen kamen nicht in Sicht. Wir wanderten schon über eine Stunde. Als wir eine Pause machten, um die Karte zu studieren, rief Laib plötzlich: Hier waren wir doch schon einmal. Da sind unsere Spuren im Schnee! Wir waren im Kreis um das ganze Schneefeld herumgegangen, ohne es zu bemerken. Der Nebel lichtete sich, wir fanden den Abstieg.
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Am PoolZu den Hotels auf dem Bürgenstock gehörte ein Swimmingpool, der zuoberst zwischen den Felsen in einem grünen Garten lag. Von unserem Ferienhaus am Fuss des Bürgenberges fuhr ich manchmal hinauf, um dort zu baden. Meistens waren kaum Gäste da.
Einmal, ich war zwanzig Jahre alt, lag eine schlanke, sehr schöne Frau auf einem Liegestuhl. Sie hatte eine Sonnenbrille aufgesetzt und genoss sichtlich die gute Luft und die Sonne. Ich fand sie sehr sympathisch und wäre gern mit ihr in Kontakt gekommen. Doch wie sollte ich das anstellen? Ich war schüchtern, und sie hatte eine so vornehme Ausstrahlung. Während ich Längen schwamm, versuchte ich einen verstohlenen Blick von ihr zu erhaschen. Doch weder als ich aus dem Wasser stieg und mich abtrocknete, noch als ich mich in einen Liegestuhl legte, würdigte sie mich eines Blickes. Ich war ratlos.
Da kam der Kellner und fragte: May I bring you a drink, Mrs. Hepburn?
Aha, jetzt wusste ich Bescheid.
Audrey Hepburn. -
Der OpernsängerStabinsky war ein bekannter Sänger an der Berliner Oper. Einer seiner Kollegen hiess Israel. Die beiden Juden verliessen Deutschland vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Stabinsky kam ans Basler Theater, wo ich ihn kennenlernte.
Nach dem Krieg reiste er nach Südamerika und besuchte Argentinien und Brasilien. Als er in Rio de Janeiro durch die Strassen ging, fiel ihm ein Bettler auf, der am Boden sass. Stabinsky erschrak. Es war Kollege Israel. Er war völlig heruntergekommen. Sein Blick schien abwesend. Er erkannte Stabinsky nicht.
Was sollte er tun? Israel ansprechen? Ihm helfen? Viel Geld hatte Stabinsky selbst nicht. Sollte er seine Adresse erfragen, falls Israel überhaupt eine hatte? Sollte er in der Schweiz Geld sammeln und Israel nachkommen lassen? Ob man ihn überhaupt noch retten konnte? Was für eine peinliche Situation!
Stabinsky ging weiter. Sein Herz klopfte wie wild, und er schämte sich. Nach ein paar Dutzend Schritten kehrte er um und legte Israel 100 Schweizerfranken in den Hut. Der Bettler nickte, und Stabinsky ging seines Weges. -
TeheranAls der Schah noch an der Macht war, flog ich mit drei anderen Geschäftsleuten nach Teheran. Man hatte uns dort ein Geschäft in Aussicht gestellt.
Wir fühlten uns nicht wohl. Korruption herrschte überall. Wir fürchteten uns davor, Fehler zu machen oder etwas Regimekritisches zu äussern. Im Gefängnis landete man rasch. Denn der Geheimdienst SAVAK war omnipräsent.
Iranisches Geld durfte man praktisch keines einführen. Also mussten wir schon am zweiten Tag zur Bank. Wir stellten uns in die Schlange vor dem Eingang und warteten auf Einlass. Einer der herumstehenden Burschen zeigte auf meine Schuhe und bedeutete mir, dass meine Absätze abgelaufen seien. Er würde mir, während ich meine Bankgeschäfte abwickle, neue Absätze aufbringen. Der Junge wirkte ziemlich aggressiv. Ich wollte mich nicht mit ihm anlegen. Also gab ich ihm die Schuhe, obwohl mir meine Absätze nicht besonders abgelaufen erschienen, und betrat die Bank in Socken. Als ich wieder herauskam, übergab mir der Bursche die reparierten Schuhe. Die Lederabsätze hatte er durch unförmige Stollen aus alten Autopneus ersetzt. -
KorsikaWir machten ein paar Tage Badeferien in Korsika. Meine Frau lag etwas abseits am Strand, während ich auf der Luftmatratze ins Meer hinaus paddelte. Bei vier bis fünf Metern Wassertiefe trainierte ein Vater mit seinen zwei Buben das Tauchen. Sie holten Steine vom Meeresboden. Ich wollte das auch versuchen und tauchte hinab, obwohl ich keine Erfahrung hatte. Plötzlich spürte ich einen Schlag im Kopf, und mir wurde schwindlig. Meine Trommelfelle mussten geplatzt sein. Ich wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Ich durfte auf keinen Fall atmen, obwohl ich den Atem kaum mehr anhalten konnte. Als ich an die Wasseroberfläche ankam, reichte meine Kraft gerade noch aus, mich auf die Luftmatratze zu legen. Dann wurde mir so elend, dass ich weder zu paddeln noch mich zu bewegen vermochte. Glücklicherweise trieb der Wind die Matratze an den Strand. Als ich mich langsam aufrichtete, wurde der Schmerz in den Ohren schier unerträglich. Meine Frau brachte mich zum Arzt. Der konnte mir nur Schmerzmittel verschreiben. Erst drei Tage später auf dem Heimflug lief mir unter Schmerzen das Wasser aus den Ohren.
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Der HilfsarbeiterEin Mann um die Vierzig kam in mein Büro und fragte nach Arbeit. Er suche dringend eine Stelle als Hilfsarbeiter. Er habe keinen Rappen mehr, zu Hause eine Frau und nichts zu essen. Ich hatte Mitleid und stellte ihn ein.
Kaum hatte er seine Stelle angetreten, flatterten mir von allen möglichen Geschäften Lohnpfändungen ins Haus. Ich zitierte den Angestellten ins Büro. Er erklärte mir, dass er sich von verschiedenen Verkäufern habe überreden lassen und darum leider dies und jenes auf Abzahlung bestellt hätte. Da er längere Zeit arbeitslos gewesen sei, hätte er die Abzahlungsraten nicht aufbringen können. Ich versprach ihm, mich der Sache anzunehmen.
Er musste alles zurückgeben, sofern es noch vorhanden war. Ich brachte einige Lieferanten dazu, das Bestellte zurück zu nehmen und andere auf ihre Forderungen zu verzichten, da mein Angestellter noch für lange Zeit zahlungsunfähig sei. So konnte ich seine Schulden wesentlich reduzieren. Einen Teil der Lohnpfändungen mussten wir jedoch akzeptieren. Dieses Geld zog ich meinem Angestellten mit seinem Einverständnis vom Lohn ab und bezahlte damit die ausstehenden Raten.
Nach einem Jahr waren die Schulden getilgt. Der Hilfsarbeiter konnte aufatmen. Es dauerte jedoch nur eine Woche, bis in der Post zwei neue Lohnpfändungen lagen. Der Angestellte hatte einen Perserteppich und einen Diamantring für seine Frau gekauft – auf Abzahlung. Als ich ihm diese neue hohe Verschuldung vorhielt, kündigte er mit der Begründung: Er lasse sich nicht bevormunden. -
BarfussIch hatte meine zukünftige Frau zum Segeln eingeladen. Von Korfu aus kreuzten wir in eine einsame Bucht des griechischen Festlands, wo wir ankerten.
Während Catherine das Schiff bewachte, schwamm ich ans Ufer, um das Festland mit dem Kap zu erkunden. Nachdem ich 100 Meter weit gegangen war, raschelte es neben mir im Gras. Ich erschrak. Was war das? Eine rotbraune Schlange von einem Meter Länge hob den Kopf und zischte. Nichts wie weg! Aber schön langsam, denn ich war barfuss. Vorsichtig machte ich zwei Schritte und erschrak wieder. Vor mir schlich eine zweite, ebenso grosse Schlange. Als ich mich umsah, waren da mindestens vier oder fünf Schlangen. Mein Herz raste, während ich mich auf Zehenspitzen zum Ufer schlich. Völlig angespannt liess ich mich ins Wasser fallen und schwamm zurück zum Schiff.
Ich zitterte noch, als ich Catherine von den Schlangen und meiner Angst berichtete. Ich hatte als ihr zukünftiger Beschützer nicht gerade grossen Mut bewiesen! -
PSMein erstes Auto war ein zweisitziges Cabriolet, Modell Fiat, Jahrgang 1932. Ich kaufte es mir im Sommer auf dem Velomarkt von meinem Lehrlingslohn. 400 Franken hatte ich gespart, die restlichen 100 konnte ich abzahlen. Es war ein wunderschönes Auto, dunkelgrün mit beigefarbenem Verdeck. Die seitlichen Scheiben waren aus Cellophan und konnten eingesteckt werden, wenn es regnete oder kalt war.
Als ich eines Winters in die Innerschweiz ins Skiweekend fuhr, lagen 40 Zentimeter Neuschnee auf den Nebenstrassen. Das war ein Spass! Auf einer verkehrsfreien Strasse schoss ich darum mit hoher Geschwindigkeit wie eine Schneeschleuder dahin. Links war ein Waldrand, rechts ein kanalisierter Bach mit steiler Uferböschung. Plötzlich sah ich ein dreispänniges Pferdefuhrwerk mit einem Schneepflug vor mir. Um nicht innert Sekunden in die Pferde zu rasen, fuhr ich die Böschung hinunter. Die Schneemassen stoppten das Auto vor dem Bachbett. Aber es kippte auf die Seite.
Welche Schande! Was sollte ich den Arbeitern nur sagen? Ich war auf Schimpftiraden, wenn nicht gar auf eine Anzeige gefasst. Als die Arbeiter auf mich zukamen, meinten sie nur: Wir kriegen das Auto mit den Pferden schon wieder auf die Strasse. Gesagt, getan. Dann wünschten sie mir gute Fahrt. -
Das OberlichtUnser Haus in Basel steht an einem Hang und hat entsprechend viele Stockwerke. Das repräsentative Treppenhaus liegt in der Hausmitte und erschliesst vier Geschosse. Es hat ein Oberlicht, das im Dachboden eine vier mal vier Meter grosse Glasscheibe mit einer zentralen Rosette aus Buntglas abschliesst.
Meine Schwester und ich probierten vorsichtig, ob das Glas unserem Gewicht standhielt: Wir stellten den einen Fuss auf das dünne T-Eisen, das die Scheibe teilte, und den anderen Fuss auf die Glasscheibe mit der eingesetzten Rosette. Es hielt. Dann luden wir ein paar Kinder zur offiziellen Mutprobe ein. Jedes sollte einmal über das Glas gehen. Als an besagtem Nachmittag alle um die Scheibe standen, hatte keines den Mut mit der Probe zu beginnen. Umso lauter wurde das Gezanke und Geschrei.
Das rief Mutter auf den Plan. Als sie von unserem Vorhaben erfuhr, erstarrte sie und wurde kreideweiss. Sie schaffte es gerade noch, uns alle vom Dachboden herunter zu jagen und die anderen Kinder heimzuschicken, dann sank sie in einen Sessel und stand bis zum Abend nicht wieder auf. -
Die EinweihungZur Einweihung des Architekturmuseums in Basel wurde der Verpackungskünstler Christo beauftragt, das ganze Haus innen auszukleiden. In Keller, Parterre und erstem Stock befand sich eine exklusive Damenboutique. Christos Equipe überzog alle Fenster mit Packpapier, die Böden, Pfeiler und Treppen tapezierte sie mit feinem Stoff. Damit niemand gestört wurde, führte das Team die Arbeiten an Pfingsten aus.
Ich durfte Christo und seiner Equipe helfen. Im Schaufenster der Boutique stand eine schwere Glasvase mit Lilien. Ich vermochte sie nicht hochzuheben. Also schob ich diese vorsichtig zur Seite zur Seite, um die Schaufensterscheibe verkleiden zu können. Aber was für ein Schreck! Die Vase zerbrach. 30 Liter Wasser ergossen sich über den Boden und flossen durchs Treppenauge hinunter auf Kostüme, Seidenblusen und Kartons mit Schuhen. Ich wischte das Wasser auf und hängte die nassen Kleidungsstücke zum Trocknen an Bügel.
Da schellte im ersten Stock das Telefon. Das kann nicht für uns sein, dachte ich. Als das Läuten nicht aufhören wollte und unsere Nerven strapazierte, rannte ich ins obere Verkaufsgeschoss und nahm den Hörer ab. Niemand war am Apparat. Ich legte auf und drehte mich um. Da erblickte ich tiefe Schuhabdrücke, die ich im neu gegossenen Fliessboden hinterlassen hatte. Der war am Freitag vor Pfingsten eingebracht worden, damit er die nächsten vier Tage aushärten konnte. Ich war am Boden zerstört.
All meinen Mut zusammennehmend, wählte ich die Nummer der Geschäftsinhaberin. Sie war über Pfingsten nicht erreichbar. Als ich sie am Dienstagmorgen dann endlich erreichte, hatte sie die Bescherung bereits gesehen. So etwas kann passieren, meinte sie. Die Versicherung ist schon informiert. Mir fiel ein Stein vom Herzen. -
Die QuittungMein Vater hatte eine tüchtige Sekretärin, Frau Blum. Sie erledigte auch private Angelegenheiten und hatte stets ein Lächeln für ihn übrig. Nachdem sie drei Jahre in Vaters Firma gearbeitet hatte, beschlossen Frau Blum und ihr Mann, an der Côte d'Azur ein Stück Land zu kaufen. Darauf wollten sie später einmal ein Haus bauen. Vater bürgte ihnen für die Aufnahme eines Kredites im Hinlick auf das gute Arbeitsverhältnis.
Ein halbes Jahr später bat er seine Sekretärin, ihm sein Medikament in der Apotheke zu besorgen, da Mutter ausnahmsweise keine Zeit hatte. Frau Blum holte es, und der Vater erstattete ihr die 115 Franken zurück. Zu Hause sagte er zu meiner Mutter: Das Medikament ist auch schön teuer geworden. Er zeigte ihr die Quittung. Doch die Mutter traute der Sache nicht. Am nächsten Tag ging sie zum Apotheker und fragte ihn, ob er sich nicht beim Preis getäuscht habe. Der Apotheker sah sich die Quittung an und antwortete, das sei kein Kassenbon, schon gar nicht seiner, sondern der Ausdruck einer Rechenmaschine. Und das Medikament koste nur 41.50 Franken.
Vater bat Frau Blum um eine Erklärung. Da müsse sie zuerst selbst nachfragen, meinte sie. Am nächsten Tag war sie krank. Und am übernächsten auch. Vater liess die Buchhaltung von der Treuhandfirma kontrollieren. Frau Blum hatte bereits über 40'000 Franken für ihr Haus an der Côte d'Azur abgezweigt. Sie liess einfach die Löhne von ausgetretenen Mitarbeitern weiterlaufen und kassierte diese selbst. -
Grosse FahrtIch wollte einmal richtig segeln. Darum charterten wir mit einem befreundeten Paar in der Adria ein frisch renoviertes Segelschiff. Niemand von uns hatte Segelerfahrung. Am ersten Tag überquerten wir den Golf von Triest. Die nächsten Tage hangelten wir uns meist mit dem Motor die istrische Küste hinunter. Plötzlich gab es einen Knall und der Motor begann zu hämmern und Russ auszustossen. Unser Terminplan liess aber keine Reparatur zu. Wir mussten das Schiff pünktlich zurückgeben und hatten noch eine lange Strecke vor uns. Also fuhren wir mit dem hämmernden Motor weiter. In Kürze überzog eine Russschicht das blütenweisse Schiff. Auf der Rückfahrt wussten wir nicht mehr, wo die Kanaleinfahrt war, die zum Hafen führte. Die feine Küstenlinie sah aus der Ferne überall gleich aus. Plötzlich gab es einen Ruck. Das Schiff sass mitten im Golf auf einer Sandbank fest. Mit Leinen, ausgefahrenen Ankern und Schaukelbewegungen versuchten wir es wieder flott zu kriegen. Alles umsonst. Der Ebbstrom liess uns nur noch stärker aufsitzen. Die beiden Frauen ruderten mit einem Gummiboot an Land. Wir Männer gerieten in Panik und feuerten Notraketen ab. Da kam ein Polizeiboot und schleppte uns frei. Es war weg, bevor wir fragen konnten, wo es zum Hafen gehe. Die Sonne näherte sich dem Horizont. Wir fuhren geradewegs zur Küste und fanden dort einen Kanal, dem wir folgten. Doch schon wieder sassen wir fest. Im falschen Kanal. Und dunkel war es auch schon. Ich schwamm ans Ufer und fragte mich zum Hafenkapitän durch. Der schleppte das Schiff gegen eine hohe Gebühr frei und beschrieb uns den richtigen Weg. Erst nach Mitternacht kamen wir todmüde im Hafen Hannibal an, wo uns der wütende Schiffseigner erwartete. Wir sollen uns sofort an die Putzarbeiten machen, sagte er. In ein paar Stunden übernehme der nächste Kunde das Schiff. Und zwar blütenweiss!
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VerjüngungskurMeine Mutter war eine schöne Frau. Sie trug immer elegante Kleider, die sie bei einem Couturier anfertigen liess, und legte Wert auf eine gepflegte Erscheinung.
Mit 45 Jahren machte sie eine Verjüngungskur nach Professor Niemeyer. Sie hatte gelesen, dass dessen Frischzellentherapie Frauen zehn Jahre jünger aussehen liess. Der Vater war stolz auf die Schönheit seiner Frau und stimmte der Therapie gerne zu.
Die Mutter reiste für die Behandlung nach Genf. Dort wurden ihr Kälberzellen injiziert, welche die menschlichen Zellen aktivieren und erneuern sollten. Alles ging gut, und Nebenwirkungen stellten sich keine ein. Die Hauptwirkung aber, die verjüngte Schönheit, konnten wir nicht feststellen. -
Gare de l'EstCatherine war auf der Rückreise von Paris. In der Bahnhofhalle des Gare de l'Est sah sie ein verzweifeltes Ehepaar, das mit seinen Koffern im Gedränge umher rannte und sichtlich ein Problem hatte. Die beiden sprachen sie in der Nähe des Billettschalters auf Französisch an. Es waren Schweizer. Ihnen sei das Portemonnaie gestohlen worden. Sie hätten kein Geld für die Rückfahrt in die Schweiz. Ob sie ihnen aushelfen würde? Catherine konnte sich ihre Not gut vorstellen. Aber ob diese Leute vertrauenswürdig sind? Sie schienen ihr bieder und rechtschaffen.
Catherine hatte zufällig 500 Schweizerfranken dabei und schoss ihnen das Geld vor. Das Paar war sehr erleichtert und dankte ihr überschwänglich. Sie stellten ihr eine Quittung aus mit ihrer Adresse im Wallis samt Telefonnummer.
Als Catherine nach einer Woche nichts von den Leuten hörte, rief sie an. Kein Anschluss gäbe es unter dieser Nummer, teilte ihr eine monotone Stimme ab Band mit. Und die Adresse gab es auch nicht. -
Die VersöhnungIch hatte diese Freundin sehr gerne. Umso schmerzhafter waren Auseinandersetzungen. Kurz bevor ich nach Frankfurt an einen Kongress verreiste, hatten wir einen heftigen Disput. Der belastete mich während meiner Abwesenheit. Darum wollte ich ihr bei meiner Rückkehr eine Freude bereiten. Ich sehnte mich nach Versöhnung. Erwartungsfroh kaufte ich ihr ein schönes Kleid in einer Boutique. Der weisse Rock war mit pfirsichfarbenen Blumen gemustert.
Als der Zug im Basler Bahnhof ankam und ich die Tragtasche mit dem Geschenk von der Hutablage nehmen wollte, war da keine. Sie musste noch auf der Sitzbank im Frankfurter Bahnhof liegen. Ich hätte mich ohrfeigen können.
Meine Freundin holte mich vom Zug ab. Zu Hause überreichte sie mir einen silbernen Kugelschreiber – zur Versöhnung. -
Santa LuciaUm auf der Karibikinsel Santa Lucia meine Schiffspapiere abstempeln zu lassen wollte, musste ich mit einem uralten Taxi eine weite Strecke fahren. Auf der Rückfahrt kamen wir an einem Bach vorbei, der sich durch Felsen wand. Am Ufer waren etwa 30 schwarze Frauen versammelt, die ihre Wäsche im Bach wuschen und die bunten Stoffstücke zum Trocknen auf den Felsen ausbreiteten. Ihre Kleider und turbanartigen Kopftücher leuchteten in allen Farben. Was für ein schönes Bild! Ich liess den Taxifahrer anhalten, stieg aus und fotografierte. Da schrien die Frauen wild durcheinander, liessen ihre Wäschestücke fallen und rannten mit geballten Fäusten auf mich zu. Ich hatte sie mit dem Fotoapparat dem Bösen Blick ausgesetzt! Nichts wie weg, wollte ich nicht gelyncht werden.
Die wütenden Frauen erreichten das Taxi, als ich die Tür zuzog, und schlugen auf den Wagen ein. Der Fahrer gab Gas. -
RigiMein Jugendfreund Willy ist ein begeisterter Pilot und Kunstfluglehrer für Motor- und Segelflugzeuge. Von Zeit zu Zeit lädt er mich auf einen Flug ein.
Einmal flogen wir in einem zweisitzigen Gleiter von Buochs über den Vierwaldstättersee. Die thermischen Verhältnisse waren optimal. Bei der Rigi trug uns der Aufwind hoch, weit über den Gipfel. Die Touristen verrenkten sich die Hälse nach uns. Deshalb legte Willy über dem See eine Einlage im Rückenflug ein. Wir hingen fast zehn Minuten lang kopfüber in den Gurten. Über mir sah ich die Wasserfläche und vor mir den rot und röter werdenden Hinterkopf meines Freundes. Nachdem wir den See überquert hatten, drehte Willy den Gleiter wieder in Normallage. Als krönenden Abschluss vollführte er noch zwei Loopings und ein "Männchen" und landete dann sicher auf der Piste in Buochs. Was für ein Erlebnis!
Ich bedankte mich und fuhr heimwärts. Zu Hause angekommen, wurde mir übel. So elend hatte ich mich in meinem ganzen Leben noch nie gefühlt. Bis ich wieder richtig auf die Beine kam, vergingen drei Tage. -
TongaWir segelten mit einem befreundeten Paar im Stillen Ozean. In einem Hafen des Archipels Vava'u erfuhren wir von einer ganz besonderen, domförmigen Höhle. Die habe am Scheitelpunkt eine grosse Öffnung, durch die das Tageslicht einfalle, und an der gewölbten Innenwand würden Hunderte von Flughunden hängen. Die Höhle könne man aber nur durch eine Öffnung unter der Wasseroberfläche erreichen. Fünfsechs Schwimmzüge würden reichen, um hinein zu gelangen.
Dieses Naturwunder wollten wir uns ansehen! Am nächsten Tag segelten wir zur Unterwasseröffnung. Hans Peter sollte als Erster schwimmen. Nachdem er ein paarmal abgetaucht war, um sich die Situation anzusehen, verliess ihn der Mut. Wenn der Kanal doch länger wäre? Wenn einem die Luft ausginge? Seine Skepsis sprang auf Catherine über, die als Nächste hätte schwimmen sollen. Wenn man zu hoch schwimmt, gab sie zu bedenken, wird man sich am Fels den Rücken aufschürfen.
Jetzt war ich dran. Carol, die das Schiff hätte bewachen sollen, war fein raus. Ich holte Luft, tauchte ab, schwamm zum Höhleneingang – und kehrte um. Fünf oder sechs Schwimmzüge ohne Auftauchmöglichkeit fand auch ich mindestens zwei zu viel.
Wir liessen die Höhle Höhle sein und segelten weiter. -
Das HörgerätTom ist ein steinreicher Mann. Sein Penthouse mit einer wunderbaren Sicht über den Golf von Mexiko kostete über zehn Millionen Dollar. In einem der vielen Räume hat er seine Sammlung von antikem Porzellan und eine Silber ausgestellt. Besucht man seine Frau und ihn, öffnet das Dienstmädchen die Tür und kündigt einen bei seiner Herrschaft an.
Als Tom entdeckte, dass wir beide Hörgeräte derselben Marke trugen, sagte er zu mir: Wo hast du dein Hörgerät gekauft? Ich habe meins im Supermarkt Costco gekauft, sagte er, den kann ich dir empfehlen. Dort sind die Geräte und auch der Service billiger als im Fachhandel.
Dann kam der Buttler und bat uns zu Tisch. -
WeihnachtenDie schönsten Momente meines Lebens erlebte ich in meiner Kindheit. Besonders an Weihnachten. Schon die Adventszeit machte mich glücklich. Im ganzen Haus duftete es nach Mutters selbstgemachtem Weihnachtsgebäck. Aus dem Grammophon erklang Weihnachtsmusik. Wir Kinder bastelten Geschenke.
An Heiligabend kam die Tante zu Besuch. Mutter tischte die Weihnachtsgans auf, und zum Dessert gab es die obligate Vacherin-Glacé-Torte. Erst wenn der Esstisch abgeräumt war, öffnete der Vater die Flügeltür zum Wohnzimmer. Da leuchtete der grosse, reich geschmückte Weihnachtsbaum.
Ich war als Junge jedesmal zu Tränen gerührt. Ich schämte mich ein Bisschen, denn wenn wir Weihnachtslieder sangen, musste ich manchmal die Augen trocknen und die Nase putzen. Doch dann sah ich, dass auch der Vater glänzende Augen hatte. -
Das SchneebrettAls meine Schwester und ich noch Schüler waren, durften wir während der Winterferien für eine Woche nach Arosa. Wir wohnten in einem einfachen Hotel und fuhren kräftig Ski. Was uns aber besonders reizte, waren Skitouren im Pulverschnee. Eine dieser Touren führte uns auf ein Hochplateau zwischen mächtigen Berggipfeln. Es war ein wunderbarer Tag und die Schneekristalle glitzerten wie Brillianten. Von dort begann die Abfahrt. Wir konnten grosse Strecken im Pulverschnee hinunterfahren. Doch an einer Stelle mussten wir die Steigfelle wieder anschnallen und einen Steilhang passieren. Wie ich den ersten Schritt tat gab es ein knackendes Geräusch, und über mir öffnete sich in der Schneedecke ein zehn Zentimeter breiter Spalt. Oha, es war gefährlich. Aber zurück konnten wir nicht. Zu steil war der Hang und zu tief war der Pulverschnee. Ich versuchte deshalb ganz sorgfältig einen zweiten und dritten Schritt zu machen. Meine Schwester wartete hinten, bis ich den Hang passiert hatte. Ich befahl ihr nicht zu sprechen, denn der Schall, so befürchtete ich, könnte das Schneebrett auslösen. Nachdem ich auf der andern Seite des Hanges angelangt sei, solle sie meine Spuren benutzen. Das tat sie und kam wohlbehalten auf meiner Seite an. Als wir zurück blickten befand sich einen Meter oberhalb unserer Skispur ein parallel laufender Spalt in der Schneedecke!
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HeiligenscheinIngrid litt schon als Kind unter häufigem Kopfweh. Dieses Übel begleitet sie bis ins Erwachsenenleben. Oft musste sie deswegen Einladungen und Veranstaltungen absagen. War die Ursache ein böser Geist oder waren es elektrische Ströme?
Ihr Vater war Elektroingenieur. Als er eines Tages vom Faradayschen Käfig erzählte, ein aus einem Kupfergitter umschlossenen Raum, in den kein Strom und kein Blitz eindringen kann, kam Ingrid auf die Idee, um ihren Schädel einen solchen Käfig zu bauen. Als die Schmerzen das nächste Mal auftraten, wickelte sie Kupferdraht aus Vaters Abfallkiste um ihren Kopf. Und siehe da, das Kopfweh war weg!
Wenn Ingrid selten mal Kopfweh hat, setzt sie ihre Kupferkrone auf, die ihr Mann «Heiligenschein» nennt und das Kopfweh ist verschwunden! -
Der EinerVater war ein leidenschaftlicher Ruderer. Er besass einen Einer auf dem Vierwaldstättersee. Das lange, schmale Ruderboot war aus Mahagoni und hatte einen Rollsitz. Wenn Vater uns am Wochenende im Ferienhaus besuchte, ruderte er vor dem Frühstück mit dem eleganten Boot über den noch glatten See. Mit zehn Jahren durfte ich zum ersten Mal als «Steuermann» mitfahren.
Danach wollte ich unbedingt selbst rudern können. Gleich am nächsten Montag holte ich den Einer aus dem Bootshaus und übte. Es blieb mir nicht viel Zeit, denn Mutter hatte eine Wanderung geplant. Als wir am Mittag von der Klewenalp auf den See hinunterblickten, überzogen Schaumkronen das Wasser. Ein sicheres Zeichen dafür, dass ein Fönsturm nahte. Oh weh, der Einer! Ich hatte ihn im Wasser gelassen und nur an einem Pfosten des Boothauses angebunden. Wir kehrten sofort zurück.
Als wir beim Haus ankamen, hingen nur noch ein paar Bretter an der Leine. Ich hatte Vaters grosse Liebe, sein bestes Stück zerstört. -
Das KornfeldIch war mit Urs und Mugg mit Vaters Auto unterwegs zu einem Wasserski-Training in Deutschland. Die schmale Strasse führte durch Kornfelder in einer hügeligen Landschaft und war ziemlich unübersichtlich. Jung, wie ich war, fuhr ich trotzdem relativ schnell.
Plötzlich tauchten zwei riesige Lastwagen vor uns auf. Sie nahmen die ganze Strassenbreite ein, weil der eine den andern gerade überholte. Eine Frontalkollision schien unvermeidlich. Wir sahen uns schon zerschmettert.
Ich riss das Steuer nach rechts. Der Wagen sprang wie auf einer Sprungschanze über die steile Böschung, flog durch die Luft und fiel in die hoch stehenden Ähren. Das Auto glitt im Kornfeld weiter. Die Ähren klatschten auf Kühler und Windschutzscheibe und färbten diese rot. Dann hielt der Wagen mitten im Kornfeld. Wir stiegen aus, unversehrt. Von den Lastwagen war weit und breit nichts mehr zu sehen. -
Flugplatz in AfrikaWir besuchten einen Game Park in Südafrika. Unser Gepäck stellten wir auf dem kleinen Flugplatz ein. Als wir von der Safari zurückkamen, bemerkten wir, dass unser Koffer geöffnet worden war. In der Tat, eine kleine Kamera fehlte. Den Verlust mussten wir verschmerzen. Keine Chance, die wieder zu kriegen.
Wir checkten ein und passierten die Kontrollen. Als wir uns im Flugzeug setzten, fragte meine Frau, wo denn der kleine Koffer sei? Wir hatten ihn in der Wartehalle vergessen! Ich stürmte aus dem Flugzeug, am Bordpersonal vorbei, das mich zurückhalten wollte, und rannte zum Passagiereingang. Die Türwache, die Angestellten an der Scannereinheit, die Polizei und die Flugplatzfunktionäre, alle schrien auf mich ein, als ich ausser Atem vorbei rannte. Ich hatte keine Zeit für Erklärungen. Der Koffer mit unseren Dokumenten war mir wichtiger. Noch stand der Koffer an seinem Platz. Ich rannte zurück, da Flugzeug hatte gewartet und die Hostessen lächelten mir zu. -